Schuldenstreit:Lang ist die Nacht

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Die Griechen und ihre Gläubiger verhandeln jetzt ernsthaft über einen tragfähigen Kompromiss. Sie haben allerdings noch einiges an Arbeit vor sich - und nur noch wenig Zeit.

Von Alexander Mühlauer

Wenn es eines nicht geben darf in diesem griechischen Schuldendrama, dann ist es das: noch mehr Aufregung. Doch so einfach ist es manchmal nicht. Nun, da sogar die Geldgeber untereinander streiten, lautet die unausgesprochene Devise am Tag nach dem Sondergipfel in Brüssel: bloß Gelassenheit demonstrieren.

Die hatte auch schon Bundeskanzlerin Angela Merkel beherzigt, als sie sich am Montagabend um 23.19 Uhr nach dem Gipfelgespräch vor eine blaue Wand im zweiten Stock des Justus-Lipsius-Gebäudes setzt und erzählt, wie das so war mit Alexis Tsipras. Hier, am Sitz des Europäischen Rats, berichtet sie nun über die gemeinsame Position der Geldgeber und die griechischen Vorschläge, die ein "guter Ausgangspunkt" seien.

Immerhin. Die Kanzlerin sagt: "Was Griechenland vorgelegt hat, ist ein Fortschritt. Es ist aber noch absolut intensive Arbeit nötig." Fortschritt durch Arbeit, darum geht es jetzt. Die Unterhändler der griechischen Regierung und jene der Gläubiger müssen nun ein sogenanntes Staff Level Agreement ausarbeiten, das ist nichts anderes als eine beschlussfähige Übereinkunft, die dann den Finanzministern der Euro-Zone vorgelegt wird. Oder wie Merkel sagt: "Wir müssen die Finanzierung klären und die Prior Actions festsetzen." Prior Actions sind Reformen, die Griechenland vorrangig umsetzen muss, um dringend benötigtes Hilfsgeld ausgezahlt zu bekommen. Merkel sagt, sie hoffe, dass bis Mittwochabend eine Liste dieser Maßnahmen vorgelegt werde, die von den Finanzministern diskutiert werden können. Dann würden die Staats- und Regierungschefs beim regulären EU-Gipfel am Donnerstag darüber befinden.

Gibt es eine Einigung, muss die vom Parlament in Athen bestätigt werden. Es folgen Abstimmungen in weiteren EU-Ländern. Neben dem Deutschen Bundestag (Bericht rechts) müssen auch die Parlamente von Finnland, Estland, Slowenien und den Niederlanden darüber entscheiden. In Österreich hängt es davon ab, ob der Finanzminister dies für zwingend hält. Es würden also wenige Tage genügen, um doch noch eine Einigung zu erzielen. Das aktuelle Hilfsprogramm für Griechenland läuft Ende des Monats aus - und damit die Hoffnung auf bis zu 19 Milliarden Euro, die Athen erhalten soll. Bereits am 30. Juni muss Griechenland etwa 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen. Geld, das es zurzeit nicht hat.

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(Foto: Kostas Tsironis/Bloomberg)

Höhere Steuern für den Euro? In Athen sind wieder Tausende auf die Straße gegangen, um für den Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone zu werben.

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(Foto: Milos Bicanski/Getty Images)

Während die Staats- und Regierungschefs in Brüssel beraten, protestieren in der griechischen Hauptstadt und anderswo in Europa die Menschen.

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(Foto: Alkis Konstantinidis/Reuters)

Wie dieser Grieche, der sich eine Europaflagge über die Schultern geworfen hat, fordern viele einen Verbleib Griechenlands in der Eurozone.

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(Foto: Milos Bicanski/Getty Images)

Eine Gruppe junger Griechen protestiert vor der Zentrale der Bank von Griechenland. Massive Kritik gibt es für die Finanzpolitik der EU.

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(Foto: Rafael Marchante/Reuters)

Unterstützung bekommt die griechische Regierung auch von diesen Demonstranten in Lissabon, Portugal, die gegen das Spardiktat der EU protestieren.

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(Foto: Louisa Gouliamaki/AFP)

Besorgte Bürger informieren sich über die Krise. Die Menschen in Griechenland und anderen Ländern der EU sind verunsichert.

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(Foto: Yannis Kolesidis/dpa)

Reformen sind schwierig: Die vorläufigen Vorschläge aus Athen zur Schuldenbekämpfung sehen unter anderem ein höheres Renteneintrittsalter vor.

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(Foto: Petros Giannakouris/AP)

Ob die von der griechischen Regierung vorgeschlagenen Schritte genügen, den gigantischen Schuldenberg abzutragen, ist indessen völlig ungewiss.

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(Foto: Yorgos Karahalis/AP)

Denn Kürzungen und Einsparungen wird Athen gegen starke Proteste der griechischen Bevölkerung durchsetzen müssen.

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(Foto: Stephanie Lecocq/dpa)

Auch in Brüssel, wo die Verhandlungen stattfanden, protestierten am Montag 5000 Menschen gegen einen strengen Sparkurs für Griechenland.

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(Foto: Milos Bicanski/Getty Images)

Viele Griechen hoffen auf einen Aufschub der Kreditgeber - und einen Verbleib des Landes in der Eurozone.

Tsipras wollte reden. Und er wollte gehört werden. Genau das ist nun geschehen.

Jetzt kann man natürlich fragen, warum in gut fünf Tagen plötzlich möglich sein soll, was in den vergangenen fünf Monaten nicht zu schaffen war. Die politischen Akteure müssen Bürgern, Wählern und Parteifreunden erklären, warum sie alle mit dem gefundenen Kompromiss zufrieden sein können. Warum sie also, im wahren Sinne des Wortes, damit leben können. Denn darum geht es: Die griechische Regierung, aber auch die Verhandlungsführer der Gläubiger müssen der Öffentlichkeit zeigen, dass sie bis zuletzt alles getan haben, um den bestmöglichen Kompromiss zu finden. Nur so werden die Parlamente in Athen, Helsinki und anderswo dem Ergebnis zustimmen. Es ist also kein Wunder, dass sowohl Griechenland als auch seine Gläubiger die Zeit bis zuletzt ausreizen.

Auch der Euro-Sondergipfel am Montag war Teil dieser Inszenierung. Und man kann sagen, der Gipfel war ein Erfolg - zumindest für Alexis Tsipras. Seit seiner Wahl zum griechischen Premier hatte er die europäischen Partner aufgefordert, den Schuldenstreit auf höchster politischer Ebene zu besprechen. Tspiras wollte reden. Er wollte gehört werden. Und genau das geschah am Montag. 18 Staats- und Regierungschef waren nach Brüssel gereist, um mit ihm zu sprechen. Über Schuld und Schulden. Doch viel wichtiger als die inhaltliche Debatte war das politische Signal, das die Länder der Euro-Zone aussandten: Wir nehmen Tsipras ernst; ganz einfach deshalb, weil er demokratisch gewählt wurde. Und vor allem nehmen wir Griechenland ernst; ganz einfach deshalb, weil es ein Teil der europäischen Währungsunion ist.

Die Vorschläge sehen noch einmal Einsparungen in Milliardenhöhe vor

Und so müssen sich nun die sogenannten technischen Teams mit den neuen Vorschlägen aus Athen befassen. Sie tun das bereits seit Montag. Elf Seiten hat das griechische Papier. In einer Tabelle sind die Vorschläge sauber aufgegliedert. Knapp 2,7 Milliarden Euro sollen Sparmaßnahmen in diesem Jahr zusätzlich bringen (das entspricht gut 1,5 Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung). 2016 sollen etwa 5,2 Milliarden Euro eingespart werden, knapp 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Allein die Reform der Mehrwertsteuer soll griechischen Berechnungen zufolge 680 Millionen Euro in diesem Jahr in die Staatskasse bringen. Der Steuersatz soll grundsätzlich bei 23 Prozent liegen. Ausnahmen gibt es nach den Wünschen aus Athen für Grundnahrungsmittel und Hotels und Restaurants (13 Prozent Mehrwertsteuer) sowie für Medikamente und Bücher (sechs Prozent). Nach Meinung der Gläubiger sollten aber auch Hotels und Gaststätten 23 Prozent Mehrwertsteuer zahlen, weil diese vor allem von Touristen genutzt würden. Hinzu kommen weitere Steuerreformen: So wollen die Griechen die Körperschaftsteuer im Jahr 2016 von 26 auf 29 Prozent anheben. Unternehmen, die mehr als 500 000 Euro Gewinn machen, sollen zusätzlich mit einer Spezialsteuer von zwölf Prozent belastet werden; diesen Vorschlag halten die Geldgeber allerdings für wachstumsfeindlich. Im Papier steht auch eine Rentenreform. Frühpensionierungen sollen von 2016 an abgeschafft werden. Das Renteneintrittsalter soll schrittweise auf 67 Jahre angehoben werden. Doch auch bei den Renten sehen die Geldgeber noch mehr Sparpotenzial.

Als hätte der Streit zwischen Athen und den Gläubigern nicht schon genügt, streiten nun auch noch die Gläubiger untereinander. So wirft der IWF der EU-Kommission vor, eine Einigung mit Athen verwässern zu wollen. Aus EU-Kreisen wiederum heißt es, der Internationale Währungsfonds torpediere einen Deal. Wie auch immer die Verhandlungen ausgehen werden, eines ist wohl sicher: Am Ende der Woche wird die Kanzlerin wieder vor der blauen Wand sitzen.

© SZ vom 24.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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