Schulbeginn:Im Akademikerturm

Die Familienministerin will den Schulbeginn verlegen. An die Kinder aus Arbeiterfamilien denkt sie nicht.

Von Johann Osel

Oft wird die "innere Uhr" ja als Ausrede von Schlafmützen betrachtet. Familienministerin Manuela Schwesig nimmt sie ernst, sie plädiert für einen späteren Schulbeginn und will Familien damit "Entschleunigung" bieten. Gestützt wird sie von Studien, wonach Jugendliche in der Früh erst langsam leistungsfähig werden - der Beginn um acht Uhr diskriminiere Spätaufsteher. Dass eine andere Taktung andere Schlaftypen ausbremst, sei dahingestellt. Trotzdem handelt es sich um eine Idee aus der Gelehrtenstube, abseits der Schulpraxis.

Zwangsläufig würde sich Unterricht bis tief in den Nachmittag ziehen, begönne man um neun oder zehn Uhr. Lernen Oberstufenschüler, die ohnehin viel Nachmittagsunterricht haben, dann bis kurz vor Mitternacht? Das G 8 kostet auch die jüngeren Schüler viel Freizeit; würde Schwesigs Idee zur Realität, wären freie Nachmittage passé. Und was passiert morgens daheim, wer würde darauf achten, dass die Kinder wirklich zur Schule gehen? Derzeit verlassen in Familien mit berufstätigen Eltern meist alle gemeinsam das Haus. Da sagt die Ministerin: Auch ein Wandel der Arbeitswelt sei nötig.

Hier zeigt sich, für wen ihre Idee gedacht ist. Angestellte, womöglich in Familienministerien, können vielleicht später in den Tag starten; Arbeiter in Fabriken hingegen nicht. Schwesig veranstaltet Aktionismus für ein Bildungsbürgertum, das stets nach dem letzten Schrei giert.

© SZ vom 07.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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