Schleswig-Holstein:Ein Abschied ohne Wehmut

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Im Schuljahr 2019/2020 wird das G 8 für die fünften und sechsten Klassen eingeführt. (Foto: Marijan Murat/dpa)

G 8 oder G 9? So erbittert einst über diese Frage gestritten wurde, so geräuschlos vollzieht die Jamaika-Koalition in Kiel nun die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Bernd Schauer weiß schon, in seiner Position zum sogenannten Turbo-Abitur steckt ein kleiner Widerspruch. Schauer ist Geschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Schleswig-Holstein. Als solcher begleitet er mit kritischem Blick das Vorhaben der Landesregierung in Kiel, vom achtstufigen zum neunstufigen Gymnasium zurückzukehren. Die GEW ist dagegen, obwohl sie einst auch gegen die Einführung von G 8 war. Wie das zusammenpasst? "Die Umstellung auf G 8 hat relativ gut geklappt", sagt Schauer, man habe sich im Norden bald arrangiert, der neuerliche Wechsel bringe nur wieder Unruhe. Aber Schauer regt sich nicht mehr auf. "Für uns ist das Thema durch." Er hat sich wieder arrangiert, und man hat das Gefühl: Eigentlich findet er das halb so wild.

Schleswig-Holstein ist gerade dabei, eine Reform zurückzunehmen, über die Bildungspolitiker, Lehrer und Eltern in ganz Deutschland seit der Jahrtausendwende ausdauernd streiten. Das achtstufige Gymnasium (G 8) war mal eine Idee zur Geldvermehrung. Die Wirtschaft wollte jüngere Berufseinsteiger, der Staat jüngere Steuerzahler, und ein Beispiel nahm man sich an anderen Ländern, in denen das Abitur nach nur zwölf Schuljahren Standard ist. Verfechter einer nachhaltigen Schulbildung waren entsetzt, die G-8-Einführung wirkte auf viele überhastet. Was Gymnasiasten vorher in neun Jahren lernen mussten, mussten sie nun in acht lernen. Es gab Klagen, dass die Schüler kaum mehr Zeit für Freizeit, Vereinssport oder Musik hätten vor lauter Lernen. Als erstes Bundesland reagierte Niedersachsen: 2014 läutete die damals noch rot-grüne Landesregierung die Rückkehr zu G 9 ein. Andere Bundesländer folgten. Seit diesem Sommer, seit in Kiel eine Koalition aus CDU, FDP und Grünen regiert, tut dies auch Schleswig-Holstein.

Vergangene Woche hat der Landtag ein entsprechendes Gesetz verabschiedet, das am 1. Januar in Kraft tritt. Bis Ende Februar können die Schulen demnach noch nein sagen zu G 9, wenn eine 75-Prozent-Mehrheit in der Schulkonferenz für G 8 stimmt. Ab 2019/20 wird G 9 dann zunächst für die fünften und sechsten Klassen eingeführt. Für den Umstellungsprozess stellt die Regierung allen Schulen jeweils eine halbe Stelle mehr zur Verfügung und nach zwei Jahren für weitere vier Jahre noch eine Viertelstelle. Die erste 13. Klasse beginnt im Schuljahr 2026/27. "Wir gehen das behutsam an", sagt Bildungsministerin Karin Prien von der CDU.

Am Ende dürfte tatsächlich die flächendeckende Rückkehr zu G 9 stehen. Durch die Jamaika-Koalition ist die Debatte um G 8 oder G 9 im nördlichsten Bundesland jedenfalls praktisch vorbei. Vor der Landtagswahl im Mai wurde noch darum gestritten. Die Küstenkoalition mit SPD, Grünen und SSW-Wählerverband wollte keine Umstellung, um die Schulen nicht wieder einem Reformprozess auszusetzen. Die CDU dagegen stimmte klar für G 9. Sie gewann die Wahl, und in den Koalitionsverhandlungen war man sich bald einig. Geliebt wurde G 8 von keiner Partei so richtig.

Die 75-Prozent-Hürde war ein Zugeständnis an die FDP, die für Wahlfreiheit plädierte. Aber GEW-Mann Schauer nennt sie eine "Farce", weil eine so große Zustimmung zu G 8 in einer Schulkonferenz nicht realistisch sei. "Das stört uns: So zu tun, als hätten die Schulen eine Chance, G 8 zu behalten." Die SPD versuchte im Landtag, eine einfache Mehrheit als G-8-Hürde durchzusetzen, aber scheiterte an den Regierungsfraktionen. Schauer glaubt, dass die Entscheidung gegen G 8 damit gefallen ist für die Schulen: "Wir wissen von keiner, in der man sich dazu entschließt, bei G 8 zu bleiben."

Die Gewerkschaft fürchtet, dass unter der Reform der Reform die Gemeinschaftsschulen leiden

Die Diskussionen im Reformprozess drehen sich vor allem um praktische Fragen. Zum Beispiel darum, wie man das Gute an G 8 bewahrt, vor allem die Vorzüge der Ganztagsschule. Zurück zu G 9 heißt nicht zurück zum G 9 von 1999, das Gymnasium kann schließlich nicht die Ansprüche einer inklusiven Vielfaltsgesellschaft verleugnen. Trotzdem sagt Karin Prien: "Der Umstellungsprozess zu einem modernen G 9 ist sicher sehr viel einfacher als der überhastete und seinerzeit auch schlecht vorbereitete zu G 8." Elf der 99 Gymnasien in Schleswig-Holstein sind schon reine G-9-Gymnasien, es gibt die Lehrpläne und Stundenkontingent-Tafeln für das langsamere Abitur. "Wir fangen nicht wieder bei Null an", sagt Prien. In Workshops und vielen Gesprächen hat ihr Ministerium den Übergang vorbereitet. Karin Prien hat dabei eine "überwältigende Zustimmung bei Schulleitern und Eltern" wahrgenommen.

Meinungsverschiedenheiten gibt es trotzdem. Die GEW fürchtet, dass die Gemeinschaftsschulen durch die G-9-Einführung Schüler verlieren, weil die Gymnasien attraktiver werden. "Dem müsste man stärker entgegenwirken, indem man auch die Gemeinschaftsschulen besser ausstattet", sagt Schauer. "Völlig unnötige und unnütze Panikmache" nennt Helmut Siegmon diesen Einwand. Der Vorsitzende des Philologenverbandes Schleswig-Holstein ist ein bekennender G-9-Anhänger. Er freut sich auf die Zeit der Umstellung. "Es wird ganz schnell ganz friedlich werden", sagt er. "Endlich."

© SZ vom 19.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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