Scheidungspläne:Stochern im Nebel

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Die Entscheidung kommt näher: Bis spätestens Ende März will die Regierung in London offiziell den Austritt aus der EU erklären. (Foto: Daniel Leal-Olivas/AFP)

Großbritannien will den Binnenmarkt verlassen und die Einwanderung beschränken. Doch wie das Verhältnis zur EU genau aussehen soll, sagt Premierministerin May nicht. Gewiss ist nur eines: Es wird kompliziert.

Von Christian Zaschke

Der Labour-Abgeordnete Keir Starmer war empört. Gerade hatte Brexit-Minister David Davis im Parlament gut zehn Minuten lang dargelegt, wie die britische Regierung sich den Austritt aus der EU vorstellt und ein Weißbuch vorgelegt, in dem die Pläne auf 75 Seiten beschrieben werden. "Das sagt ja gar nichts", rief Starmer erbost, der Schattenminister für den Brexit. Davis nahm das gütig lächelnd zur Kenntnis.

Starmer hatte mit seinem Ausruf nur insoweit recht, als das Dokument im Wesentlichen lediglich zusammenfasst, was Premierministerin Theresa May bereits vor zwei Wochen im Londoner Lancaster House in einer lange erwarteten Rede zum Brexit gesagt hatte. Das Weißbuch sagt also nicht nichts, aber nichts Neues. Immerhin liegen die Pläne nun schriftlich vor.

Kernpunkt des Dokuments ist, dass Großbritannien den europäischen Binnenmarkt und die Zollunion verlassen und sich darum bemühen wird, ein neues Handelsabkommen mit der EU zu schließen. Das wird nötig, weil die britische Regierung das Votum der Bürger für den Brexit vor allem so interpretiert, dass es eine strengere Einwanderungskontrolle für EU-Bürger geben soll. Das wiederum bedeutet, dass Großbritannien nicht Teil des Binnenmarktes bleiben kann. Voraussetzung dafür wäre die Anerkennung des freien Verkehrs von Waren, Dienstleistungen, Kapital und eben Arbeitskräften innerhalb der Mitgliedsstaaten.

Wie künftige Einreisebeschränkungen für EU-Bürger aussehen könnten, wird in dem Dokument nicht klar beschrieben. Es werde komplexer Arrangements bedürfen, über die das Parlament gesondert entscheiden werde. Die neuen Regeln würden in mehreren Stufen umgesetzt, um der Wirtschaft die Anpassung zu erleichtern.

Für bereits in Großbritannien lebende EU-Bürger wolle man möglichst bald Klarheit herstellen, heißt es. Ziel sei es, dass diese genauso weiterleben könnten wie bisher, mit gleichen Rechten und Pflichten. Es müsse jedoch gewährleistet sein, das Gleiches für die auf dem Kontinent lebenden Briten gelte. Eine Vereinbarung darüber hätte man gern vor Beginn der Austrittsverhandlungen abgeschlossen, heißt es, das sei aber mit der EU nicht möglich gewesen.

Selbst Oppositionschef Corbyn unterstützt die Premierministerin

Die Verhandlungen beginnen, sobald die Regierung Brüssel gemäß Artikel 50 der EU-Verträge offiziell vom Austrittswunsch unterrichtet. Geplant ist, dies bis spätestens Ende März zu tun. Seit Mittwochabend ist es sehr wahrscheinlich, dass Theresa May ihren Zeitplan einhalten kann. Nach einer zwei Tage währenden Debatte hatten die Abgeordneten mit großer Mehrheit einem Gesetz zugestimmt, das es der Regierung erlaubt, Brüssel zu benachrichtigen. 498 Parlamentarier stimmten für das Gesetz, 114 dagegen. Mays Position ist damit erheblich gestärkt.

Ursprünglich hatte die Premierministerin eine Abstimmung im Parlament unbedingt verhindern wollen. Sie vertrat die Ansicht, dass die Regierung nach dem Referendum, in dem im vergangenen Jahr knapp 52 Prozent der Wähler für den Austritt votiert hatten, keine weitere Rücksprache mit dem Parlament halten müsse. Der Oberste Gerichtshof widersprach dieser Ansicht jedoch, sodass die Abstimmung nötig wurde. Die große Mehrheit für das Gesetz erklärt sich dadurch, dass Labour-Chef Jeremy Corbyn seine Abgeordneten bei strengstem Fraktionszwang dazu angehalten hatte, dafür zu stimmen. Sein Argument: Man müsse das Ergebnis der Volksabstimmung respektieren.

Dass dennoch 47 Labour-Abgeordnete gegen die Vorlage stimmten, zeigt, wie zerstritten die Partei in der Frage ist. Zwei Schattenminister waren zurückgetreten, um nicht für den Beginn der Brexit-Verhandlungen stimmen zu müssen, und dann war da noch die Geschichte von Diane Abbott. Die Londoner Abgeordnete ist eine der engsten Verbündeten von Corbyn, der zwar an der Parteibasis breite Unterstützung erfährt, aber in der Fraktion wenig Rückhalt hat. Abbott hat ihn wieder und wieder leidenschaftlich gegen Angriffe aus den eigenen Reihen verteidigt.

Ein politisch höchst opportuner Migräne-Anfall

Die Abstimmung vom Mittwoch bedeutete jedoch ein Dilemma für sie. Einerseits hatte ihr Wahlkreis mit großer Mehrheit gegen den Brexit gestimmt. Andererseits konnte sie als Führungskraft und Corbyn-Vertraute nicht gegen den Chef stimmen. Gegen wen sollte sie sich nun wenden? Ihre Wähler oder ihren Chef? Sie wurde aus diesem Dilemma erlöst, da sie eine plötzliche Migräne überfiel, weshalb sie sich abmeldete und zwei Stunden vor der Abstimmung nach Hause fuhr. Kurz zuvor hatte sie noch an einer lebhaften Debatte teilgenommen. In Westminster wurde gespottet, sie leide an der "Brexit-Grippe".

Das Gesetz wird nun zunächst zwei Tage lang von parlamentarischen Ausschüssen begutachtet. Besonders Labour und die Scottish National Party haben allerlei Anträge für zusätzliche Klauseln eingereicht. Dass diesen stattgegeben wird, ist unwahrscheinlich, da die Konservativen über die absolute Mehrheit verfügen und das Gesetz ohne Labour durchbringen könnten. Mitte kommender Woche wird dann erneut und letztgültig abgestimmt.

Anschließend wandert das Gesetz ins House of Lords. Hier hat die Regierung keine Mehrheit, es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass das Oberhaus das Ergebnis der Volksabstimmung und die Entscheidung im Unterhaus respektiert. Sollte das wider Erwarten nicht der Fall sein, wäre das nicht das Ende des Prozesses, sondern würde ihn lediglich um maximal ein Jahr verzögern. Erwartet wird aber, dass das Oberhaus bis zum 7. März zustimmt. Anschließend könnte Theresa May den Trennungsprozess von Brüssel jederzeit einleiten.

Der einzige konservative Abgeordnete, der gegen das Gesetz gestimmt hat, war der parlamentarische Veteran Kenneth Clarke, der seit 1970 im Unterhaus sitzt. In einer brillanten Rede hatte er diese Entscheidung erklärt und dafür auch von den harten Brexit-Befürwortern seiner Partei Respekt erfahren. Clarke erkannte das Ergebnis der Abstimmung an und nannte es "historisch". Mit Blick auf die gute Laune seiner Parteifreunde merkte er in seiner gewohnt jovialen Art an, dass diese Stimmung sich bald schon ändern könnte. Nämlich dann, sagte er, wenn die Verhandlungen mit der EU Wirklichkeit werden.

© SZ vom 03.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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