Salafisten:Razzia hinter frommen Fassaden

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Innenminister de Maizière verbietet zwei Salafisten-Vereine und lässt bundesweit ihre Immobilien durchsuchen: Die Gruppen sollen Kämpfer für den IS-Terror rekrutiert haben.

Von Matthias Drobinski, München

Er tue doch nur Gutes, sagte Ibrahim Abou-Nagie vor vier Jahren in einem Interview. Den Koran in Deutschlands Fußgängerzonen zu verteilen, das sei "ein Geschenk aller Muslime an die Nichtmuslime", denn wer den Islam nicht annehme, der komme in die Hölle. Ganz sicher sei er kein Hassprediger, versicherte der 52-jährige Ex-Unternehmer mit palästinensischen Wurzeln, der von sich sagt, er habe nach einer Pleite zum wahren Glauben gefunden: "Wenn ich die Menschen hassen würde, würde ich niemals eine Koranübersetzung verschenken."

Dass Abou-Nagie Menschenliebe in den Mittelpunkt seines Tuns stellt, bezweifeln Verfassungsschützer schon lange; Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat sich jetzt dieser Sichtweise angeschlossen. Er hat die Vereinigung "Die wahre Religion" und die "Lies-Stiftung" Abou-Nagies verboten, die bundesweit erfolgreichste Gruppe der salafistischen Szene. Von 6.30 Uhr an durchsuchten am Dienstag Polizisten in zehn Bundesländern 190 Wohnungen und Büros, vor allem in Hessen, Bayern, Nordrhein-Westfalen. Sie beschlagnahmten Computer und Handys, aber auch Pyrotechnik und Schlagstöcke.

Nach einem Jahr Vorbereitung schlugen die Ermittler am Dienstagmorgen gegen die Salafisten-Szene zu, wie hier in Bonn. (Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)

Für de Maizière und seine Innenminister-Kollegen verbirgt sich hinter der frommen Fassade des Vereins mit einigen Hundert Anhängern, der 3,5 Millionen Koran-Exemplare verteilt haben soll, eine Organisation, die Hass, Demokratiefeindlichkeit und Antisemitismus verbreitet - und die gezielt Jugendliche radikalisiert und für den Kampf an der Seite der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) anwirbt.

9200 Salafisten soll es in Deutschland geben - Tendenz steigend

Mehr als 140 Jugendliche und junge Erwachsene seien nach Syrien oder in den Irak ausgereist, nachdem "Lies"-Aktivisten sie angesprochen hätten, sagte de Maizière am Dienstag: "Wir wollen nicht, dass für Terrorismus in Deutschland geworben und radikalisiert wird. Und wir wollen auch nicht, dass Terrorismus aus Deutschland exportiert wird." Die Vereinigung rufe zum Kampf gegen die verfassungsmäßige Ordnung auf und glorifiziere "Mord und Terror." De Maizières nordrhein-westfälischer Kollege Ralf Jäger (SPD) kündigte an: "Wir trocknen die Szene aus." Islam- und Integrationsexperten beobachten seit Jahren mit Sorge, dass die Salafisten-Szene gerade auf junge Muslime attraktiv wirkt - und sich zunehmend radikalisiert. Es sei eine "regelrechte Jugendkultur" entstanden, sagt die Islamforscherin Susanne Schröter der dpa. Als nach der Jahrtausendwende die ersten Salafisten mit Rauschebart, Häkelkäppi und weißem Wallegewand so taten, als lebten sie in der Zeit des Propheten Mohammed (ohne jedoch auf Mobiltelefon und Internet zu verzichten), wurden sie vielfach als fromme Spinner belächelt. Doch bald verschwammen die Grenzen zwischen frommen Fundis und radikalen Predigern wie Pierre Vogel und Sven Lau, die wiederum überholt wurden von Netzwerken wie "Die wahre Religion" oder der noch militanteren "Millatu Ibrahim" (Religion Abrahams). Der Rapper Denis Cuspert wurde zum Aushängeschild beider Gruppen, bevor er sich in Syrien dem IS anschloss. Vogel und Lau sympathisierten anfangs mit "Die wahre Religion", distanzierten sich dann aber. 9200 Salafisten soll es in Deutschland geben, Tendenz steigend. 1200 von ihnen sollen, so das Bundesamt für Verfassungsschutz, Gewalt befürworten. Im Mai 2012 verbot der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) "Millatu Ibrahim". Sven Lau, Initiator der "Scharia-Polizei" in Wuppertal, steht derzeit vor Gericht, weil er als Kontaktperson für eine syrisch-salafistische Gruppe fungiert haben soll. Nun also trifft es die Lies-Aktion; ein Jahr lang haben sich die Behörden nach eigenen Angaben auf die Razzien vorbereitet. "Es wurde höchste Zeit", sagt die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor, die ein Buch über junge Salafisten geschrieben hat. "Ich kenne einige Geschichten, wo Jugendliche direkt in der Fußgängerzone für den Kampf in Syrien angeworben wurden." Die Ideologie der Salafisten bleibe aber für eine Minderheit der Muslime attraktiv, "und diese Attraktivität wächst, so lange die Islamfeindschaft im Land wächst", sagt Kaddor. Fast alle Muslime seien froh, dass dieser Verein endlich verboten sei: "Sie wären aber auch froh, wenn der Staat bei Pegida und anderen Islamfeinden genauer hinsehen würde." Dagegen äußerte sich die Bundesmigrationsbeauftragte Aydan Özoğuz (SPD) skeptisch über die Erfolgsaussichten von Razzien gegen Islamisten. Man müsse bei der Verfolgung von Islamisten mit "sehr großem Augenmaß" vorgehen, sonst erwecke man bei jungen Menschen "den Eindruck von Willkür", sagte sie dem Sender Phoenix. CDU-Generalsekretär Peter Tauber griff Özoğuz scharf an. "Anstatt unseren Sicherheitsbehörden für ihre hervorragende Arbeit zu danken, tritt ihnen Frau Özoğuz vors Schienbein", sagte er der Zeitung Bild.

Abou-Nagie, der ganz unsalafistisch einen BMW-Geländewagen fährt und wegen Hartz-IV-Betrugs auf Bewährung verurteilt wurde, trafen die Ermittler am Dienstag nicht an - er soll im Ausland sein.

© SZ vom 16.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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