Russlands Chef-Fahnder:Im Auftrag des Kreml

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Alexander Bastrykin ermittelt in den politisch brisanten Fällen - vom Krieg in Südossetien bis zum Mord an der Journalistin Politkowskaja. Er beteuert, ihn interessieren dabei nur die Fakten.

Sonja Zekri

Über seinen Schreibtisch gehen alle wichtigen Kriminalfälle Russlands, etwa der Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja oder die Vergiftung des Ex-Geheimdienstlers Alexander Litwinenko, aber auch Flugzeugabstürze oder Anschläge. Nun liegen auf Alexander Bastrykins Tisch Akten über Südossetien. Der Jurist Bastrykin, 55, leitet das Ermittlungskomitee der Staatsanwaltschaft, die oberste Ermittlungsbehörde Russlands. In Südossetien wurde er auf höchste Anweisung tätig: Präsident Dmitrij Medwedjew ließ ihn Beweise für einen angeblich von Georgiern begangenen Völkermord sammeln.

Der Chef-Fahnder des Keml versichert, für ihn zählen nur die Fakten - auch bei Fällen wie dem Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Ihre Mission in Südossetien war aufwendig. Was war Ihr Ziel?

Alexander Bastrykin: Wir sind am 11. August nach Zchinwali gefahren, mitten im Krieg. Zeitweise haben wir dort mit über 200 Ermittlern gearbeitet, dazu 27 Kriminologen. Wir haben über 5000 Aussagen geschädigter Personen aufgenommen. Unsere Ermittlungen erstreckten sich auf zwei Bereiche - den georgischen Angriff auf die russischen Friedenstruppen und auf Zivilisten, die ja russische Staatsbürger waren. Inzwischen haben wir in Russland ein Verfahren gegen Georgien eingeleitet wegen des "Mordes an zwei oder mehr Personen" und wegen Paragraph 357: Völkermord.

SZ: Südossetien hat die Zahl der zivilen Toten mit über 2000 angegeben. Entspricht das Ihren Erkenntnissen?

Bastrykin: Das ist ein sehr emotionales Thema. Aber als Juristen müssen wir von den Fakten ausgehen. Unsere Arbeit war ohnehin nicht leicht. Oft hatten Angehörige die Toten schon beerdigt. Manchmal haben wir nur noch Körperteile gefunden. Unbestreitbare Beweise haben wir bislang für den Tod von 159 Zivilisten, die meisten davon waren Osseten. Das sind vorläufige Zahlen.

SZ: 159 Tote sind entsetzlich, aber beweisen sie einen Genozid?

Bastrykin: Sie wollen sagen: Warum sind es so wenige? Aber das ist zynisch. Zudem hängt der Tatbestand des Völkermordes nach russischem Rechtsverständnis nicht von der Anzahl der Opfer ab, sondern davon, ob die Handlungen auf die Auslöschung einer ethnischen Gruppe zielen. Und dafür haben wir ausreichend Beweise, etwa die Zerstörung ossetischer Dörfer durch Grad-Mehrfachraketenwerfer, die in bewohnten Gegenden nicht eingesetzt werden sollen, oder die gezielte Tötung von Zivilisten. Ich habe mit einem georgischen Kriegsgefangenen gesprochen, der sagte: "Unsere Befehle lauteten, alle fremdstämmigen Osseten aus unserem Land zu vertreiben."

SZ: Sie zu vertreiben, aber nicht sie auszulöschen. Haben Sie Beweise, dass Tiflis die Vernichtung der Osseten angeordnet hat?

Bastrykin: Unsere Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, aber wir werden auch diese Beweise vorlegen.

SZ: Georgien klagt gegen Russland vor dem Internationalen Gerichtshof. Wird Moskau dort Klage gegen Georgien erheben?

Bastrykin: Derzeit schicken wir unsere Dokumente an das Außenministerium, das Russland in Den Haag gegenüber Georgien vertritt.

SZ: Das Ermittlungskomitee wurde vor einem Jahr geschaffen. Zeit für eine erste Bilanz.

Bastrykin: Die Aufklärungsrate für Verbrechen ist im ersten Halbjahr 2008 deutlich gestiegen. Die Zahl der unaufgeklärten Morde ist um elf Prozent gesunken. Wir kooperieren mit vielen Ländern, außerdem mit Interpol. Soeben haben wir Präsident Medwedjew gebeten, Vertreter in russische Botschaften entsenden zu dürfen, wo unsere "Untersuchungsinteressen" liegen. Natürlich müssen wir uns in einigen Bereichen noch verbessern, etwa bei der Anklageerhebung. Es gab einen Fall sexueller Belästigung einer Minderjährigen in der Provinz. Dreimal weigerte sich der Ermittler, die Anzeige aufzunehmen. Am Ende stellte sich heraus: Er kannte den Verdächtigen. Wir haben es herausgefunden, den Fall vor Gericht gebracht und den Ermittler bestraft.

SZ: Vor wenigen Tagen jährte sich der Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja zum zweiten Mal. Drei mutmaßliche Mittäter wurden angeklagt. Der Mörder aber ist noch flüchtig.

Bastrykin: Ja. Und solange er nicht gefasst ist, ist der Fall nicht geklärt. Inzwischen wissen wir, dass er sich im Ausland aufhält. Wo, kann ich nicht sagen. Aber wir werden ihn sicher finden.

SZ: Hochrangige russische Beamte behaupten, dass der Drahtzieher der russische Milliardär Boris Beresowskij ist, der von London aus zum Umsturz in Russland aufgerufen hat.

Bastrykin: Für diese Vermutung haben wir bislang keine Hinweise.

SZ: Ebenfalls ungeklärt ist der Tod Alexander Litwinenkos, der vor zwei Jahren in London mit Polonium vergiftet wurde.

Bastrykin: Der Fall ist sehr komplex. Im Moment stocken unsere Ermittlungen, weil unsere Anfragen nach Europa nicht beantwortet wurden. Beispielsweise haben wir bis heute noch nicht die Ergebnisse der Obduktion aus England.

SZ: Scotland Yard ist der Meinung, dass der Ex-Geheimdienstler Andrej Lugowoj der Täter ist und verlangt seine Auslieferung - was zu einer Eiszeit zwischen Russland und Großbritannien geführt hat.

Bastrykin: Politik interessiert uns nicht. Wir untersuchen auch diese Version, haben aber bislang keinen Hinweis auf Lugowojs Schuld. Seit einem Jahr warten wir übrigens auf die Erkenntnisse unserer deutschen Kollegen, die in Lugowojs Hamburger Wohnung Spuren des Giftes gefunden haben.

SZ: Sie untersuchen auch den Tod des inguschetischen Journalisten Magomed Jewlojew, der die Seite "ingushetiya.ru" herausgegeben hat und Ende August in Polizeigewahrsam starb.

Bastrykin: Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass es sich um unfreiwillige Tötung handelt. Ein Mitarbeiter der Polizei hat Jewlojew im Auto mit entsicherter Pistole begleitet, und aus Angst, dass andere Personen versuchen würden, ihn gewaltsam zu befreien, hat er aus Versehen einen Schuss abgegeben.

SZ: Jewlojews Familie bezweifelt das. Der versehentliche Schuss traf immerhin direkt in den Kopf.

Bastrykin: Der Schuss traf aus kurzer Distanz, löste sich aber aus Versehen - das ist unsere Erkenntnis. Aber bald beginnt der Prozess.

SZ: Russische Medien haben über Konflikte zwischen der Generalstaatsanwaltschaft und Ihrer Behörde berichtet.

Bastrykin: Ich bin auch erster Stellvertreter des Generalstaatsanwalts. Soll ich gegen mich selbst kämpfen? Nein, es gibt keine Spannungen. Wir beurteilen manche Fälle unterschiedlich, finden aber immer eine einmütige und juristisch einwandfreie Lösung.

SZ: Es heißt außerdem, hinter den Differenzen verbergen sich mächtige Interessengruppen. Sogar von einem "Krieg der Clans" ist die Rede.

Bastrykin: Unsinn. In diesem Jahr haben wir russlandweit zwölf Ermittler wegen Bestechung zur Verantwortung gezogen. Insgesamt arbeiten in unserer Behörde 8000 Ermittler. Ich habe sogar Ermittlungen gegen einen engen Mitarbeiter eingeleitet, Dmitrij Dowgij. Ich habe sechs Jahre mit ihm zusammengearbeitet. Glauben Sie, das ist mir leichtgefallen? Aber ich kann nicht gegen die Korruption im Land kämpfen und sie in der eigenen Behörde zulassen.

© SZ vom 11.10.2008/lawe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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