Russland:Wahl ohne Wähler

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Wladimir Putin lobt eine politische Reife seiner Landsleute, die in Wahrheit oft Resignation ist. Die niedrige Wahlbeteiligung zeigt, wie wenig sich die Menschen noch vom Parlament erwarten. Dort wird künftig wohl kein einziger Abgeordneter gegen den Kreml anreden.

Von Julian Hans

Man muss sich noch einmal klarmachen, wie bescheiden die Hoffnungen vor dieser Parlamentswahl in Russland waren. Es ging nicht um einen Regierungswechsel, es ging nicht einmal um neue Mehrheitsverhältnisse. In ihren kühnsten Träumen sahen Putin-Kritiker eine Fraktion in der Staatsduma, die nicht auf das Wort aus dem Kreml hört. Realistisch erschien es, eine Handvoll Politiker ins Parlament zu bringen, oder zumindest einen einzigen, der manchmal aufsteht und Wahrheiten ausspricht. Damit sie wenigstens einmal öffentlich gesagt werden.

In der vergangenen Legislaturperiode stimmte der 36-jährige Dmitrij Gudkow als einer von vier Abgeordneten nicht für den Anschluss der Krim an Russland. Und er beantragte eine Schweigeminute für den ermordeten Boris Nemzow, der immerhin einmal Vizepremier und jahrelang Abgeordneter des Hauses gewesen war. Als sein Antrag abgelehnt wurde, stand er alleine auf, ein einziger Abgeordneter schloss sich ihm an. Einzelne Stimmen mögen nichts entscheiden, aber sie können wenigstens für einen Rest Anstand eintreten.

In der nächsten Duma wird Dmitrij Gudkow fehlen. Er hat den Kampf um ein Direktmandat verloren, genauso wie alle anderen kremlkritischen Kandidaten. Wenn nicht einer der 450 Abgeordneten noch eine überraschende Wandlung durchmacht, wird künftig niemand mehr als unabhängige Stimme sprechen. "Das Parlament ist kein Ort für Diskussionen" - das geflügelte Wort aus dem Mund des ehemaligen Duma-Vorsitzenden Boris Gryslow ist bedrückende Wirklichkeit geworden.

Wahlmanipulationen und der Einfluss des Staatsfernsehens werden sicher eine Rolle gespielt haben für dieses Ergebnis. Entscheidend aber war die historisch niedrige Wahlbeteiligung. Präsident Wladimir Putin attestierte seinen Landsleuten politische Reife; statt sich von leeren Versprechungen verführen zu lassen, hätten sie dafür gestimmt, Kurs zu halten.

Die niedrige Beteiligung zeugt von der Resignation vieler Bürger

Die Auszählungsergebnisse sprechen eine andere Sprache. Dass landesweit nicht einmal jeder zweite Wahlberechtigte seine Stimme abgab, zeugt eher von Resignation als von Reife. Wenn man sich genauer ansieht, wo die Menschen zur Wahl gegangen sind, wird das Bild richtig finster: In den Unruheregionen im Nordkaukasus, wo islamistische Kämpfer und Sicherheitskräfte sich seit Jahren in einem schwelenden Bürgerkrieg befinden, soll die Wahlbeteiligung bei mehr als 80 Prozent gelegen haben. Wer einmal Tschetschenien besucht hat, der weiß, dass in keiner anderen Region des Landes der Groll auf Moskau so groß ist, aber auch die Angst, die Staatsmacht zu kritisieren. Ähnlich aktiv stimmten scheinbar auch die Insassen von Gefängnissen und Nervenheilanstalten ab. Derweil war die Wahlbeteiligung in der Hauptstadt und in Sankt Petersburg am niedrigsten, gerade einmal einer von drei Wahlberechtigten machte sich auf den Weg an die Urne.

Zusammengenommen gibt das einen Eindruck, auf welche Mehrheit sich die russische Führung stützt. Es sind diejenigen, die mit Zwang mobilisiert werden können. Beamte und Angestellte von Staatsbetrieben, Kadetten, die in langen Schlangen vor Wahllokalen standen. Die Elite der großen Städte hat aus den erfolglosen Protesten gegen den frechen Postenwechsel zwischen Premier und Präsident vor fünf Jahren den Schluss gezogen, dass Wahlen nichts bewirken. Und den schwachen demokratischen Kräften ist es nicht gelungen, diese Hoffnung wiederzubeleben.

Man könnte nun sagen, es sei die Sache der Russen, wenn sie so wählen, würde das Ergebnis nicht fünf weitere Jahre Stagnation, Korruption und Frustration bedeuten, die allzu oft in außenpolitische Konfrontation umgeleitet wird. Damit ist auch diesmal zu rechnen.

© SZ vom 20.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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