Russland:Schuld und Sühne

Lesezeit: 2 min

Wladimir Putin wird erneut für die Präsidentschaft kandidieren. Da kommt es ihm gelegen, dass Russland von den Olympischen Winterspielen ausgeschlossen wird. Das Land sieht im Doping kein Vergehen, es sieht nur die Bestrafung durch äußere Mächte. Da heißt es zusammen­stehen.

Von Julian Hans

Am Tag nach der Entscheidung über einen Ausschluss Russlands von den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang verkündet Wladimir Putin, dass er für eine vierte Amtszeit kandidiert. Zu Olympia kommt von ihm kein scharfer Kommentar. Warum der Welt die Genugtuung gönnen und öffentlich toben? Das überlässt er anderen. Maria Sacharowa, die schrille Stimme des russischen Außenministeriums, stellte die IOC-Entscheidung in eine Reihe mit dem Zweiten Weltkrieg, dem Zerfall der Sowjetunion und den Sanktionen. Die Welt dulde eben kein starkes Russland, war ihr erstes Fazit auf Facebook. Dass die russische Flagge nicht gehisst und die Hymne nicht gespielt wird, ist für den patriotisch überhitzten Teil der russischen Gesellschaft schlimmer, als dass Sportler nicht teilnehmen dürfen. Die Nation steht über dem Individuum.

In gewisser Weise ist das Gefühl - "Wir wurden betrogen und verraten" - nachvollziehbar. Haben denn nicht die Sportfunktionäre aus aller Welt lange mitgespielt? Sie hatten ja ein gemeinsames Interesse mit dem russischen Regime. Es ist bequem, die Spiele an pompösen Orten auszutragen und dort, wo man nicht gleich mit einem Bürgeraufstand rechnen muss, wenn für ein neues Stadion ein altes Wohnviertel abgerissen oder für eine Skipiste ein Wald abgeholzt wird. Mit autoritären Führern kommt man einfacher ins Geschäft, dieser Meinung sind ja auch viele Vertreter deutscher Konzerne. Im IOC war man deshalb sehr lange bereit, alle Augen fest zuzudrücken. Erst als die Beweislast durch einen Whistleblower aus dem Innersten des staatlichen Betrugssystems die Vermarkter des olympischen Gedankens selbst zu erdrücken drohte, ließen sie die Russen fallen. Der Ausschluss ist deshalb nicht weniger richtig, aber die Empörung ist ein bisschen nachvollziehbar.

Putin wird auf der Welle der Empörung in den Kreml getragen

In einer aktuellen Umfrage äußern mehr als zwei Drittel der Befragten in Russland die Überzeugung, russische Sportler nähmen etwa genauso häufig oder sogar weniger häufig verbotene Substanzen als Sportler anderer Nationen. Jeder Vierte glaubt, dass Russen überhaupt nicht dopen. Das eigentlich Bemerkenswerte an der Studie aber ist, dass die Gruppe, die von der Sauberkeit des russischen Sports überzeugt ist, seit März 2016 stark gewachsen ist - also genau in jener Zeit, in der fast wöchentlich haarsträubende Details über das staatlich organisierte Doping in Russland ans Licht kamen.

In Russland herrscht der Glaube, es betrügen sowieso alle. Wenn Russen bestraft werden, müsse das also andere Gründe haben. Immerhin waren Russen doch Komplizen des IOC, und Thomas Bach habe lange nichts auf Putin kommen lassen. Russische Bürger übertragen die Verhältnisse, die sie von der eigenen Justiz kennen: Staatsdiener gelten als korrupt, aber unantastbar. Wenn doch mal einer vor Gericht kommt, so wie derzeit der ehemalige Wirtschaftsmister Alexej Uljukajew, dann ist allen klar, dass er einen Machtkampf verloren hat und Opfer selektiver Justiz wird.

Nun kann sich eine ganze Nation zum Opfer selektiver Justiz stilisieren. Nach jeder Anklage gegen Russland - sei es wegen des Abschusses von MH17, weil das Land den Giftgas-Mörder Assad vor den Vereinten Nationen in Schutz nimmt, oder wegen Dopings - haben der Kreml und das von ihm gelenkte Fernsehen die gleiche Erklärung parat: Das liege daran, dass man eine unabhängige Position einnehme. Jedes Eingeständnis bedeutete Schwäche, einzulenken hieße, sich dem Diktat äußerer Mächte zu beugen, allen voran den USA. Am Gegenwind meint man, die eigene Souveränität messen zu können.

Wenn die Empörung wächst, weiß Putin sie zu nutzen. Wenn das Volk müde wird, entsteht so der notwendige Schub, der ihn ein weiteres Mal in den Kreml tragen wird.

© SZ vom 07.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: