Russland:Putins Wahrheiten

Im Fernsehen inszeniert der Präsident Einigkeit mit dem Volk.

Von Julian Hans

Welche Antworten erwartet man von einem Menschen, der heute das eine erzählt und morgen das Gegenteil? Der so oft die Wahrheit verbogen hat, dass man bisweilen den Überblick verliert, welche Version der Wirklichkeit gerade gilt. "Es sind keine russischen Soldaten in der Ukraine", sagte Wladimir Putin am Donnerstag bei seiner Frage-Antwort-Sendung im russischen Fernsehen. Bei der Sendung vor einem Jahr hatte er erstmals eingeräumt, dass bei der Annexion der Krim doch russische Soldaten beteiligt waren. Davor hieß es: Das sind alles örtliche Milizionäre. Mittlerweile hat Putin detailliert erzählt, wie er selbst die Operation auf der Krim dirigiert hat.

Aber um Wahrheit oder Unwahrheit geht es nicht bei derlei Veranstaltungen in Russland. Vielmehr geht es um das Gefühl, die Illusion einer Einheit zwischen Volk und Präsident, die einmal im Jahr verbunden sind über Fernsehen, Telefon und Internet. Hinterher fragen sich die Teilnehmer gegenseitig: Und, was meinst du, wie war der Patron drauf?

Nach dem Familientreffen am Donnerstag kann man sagen: versöhnlich. Auf die platzierte Frage, wer die Feinde Russlands seien, antwortete Putin, Russland habe keine echten Feinde. Das ist ein anderer Ton, als ihn das Fernsehen seit einem Jahr anschlägt - und vielleicht ein erstes Signal, dass eine Normalisierung der Beziehungen vorbereitet wird. Falls es nicht nur Putins Tagesform war.

© SZ vom 17.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: