Russland:Putins Opium fürs Volk

Der Präsident lenkt die Russen mit seiner Weltpolitik ab.

Von Julian Hans

Wladimir Putin dürfte es fast egal sein, wie das Interview im Westen aufgenommen wird, das er zum Jahresauftakt der Bild-Zeitung gegeben hat und das sein Staatsfernsehen ebenfalls ausstrahlt. Etwas Neues hat er nicht gesagt. Trotzdem wird jetzt wieder diskutiert über die wortbrüchigen Ausdehnungsbestrebungen der Nato, ob Putin nun ein Freund des Westens ist oder nicht und ob seine Luftwaffe in Syrien die falschen oder die richtigen Assad-Gegner bombardiert.

Hauptsache, es geht um das große Ganze, um Weltpolitik, um die Ungerechtigkeit der Geschichte, kurz: um irgendetwas weit weg vom Alltag der Russen. Denn wenn der zum Thema würde, wäre das für den Präsidenten sehr unangenehm. Stabilität war das Versprechen, mit dem sich Putin 2012 zum dritten Mal in den Kreml befördern lies. Nie wieder sollte es den Russen so gehen wie in den verteufelten 1990er-Jahren.

Doch was das Volk seitdem erlebt, ist alles andere als Stabilität. Zur außenpolitischen Unsicherheit, in der das "Brudervolk" der Ukrainer zum Gegner wird und die gestern noch verbündete Türkei zum Feind, kommt nun der soziale Abstieg. Immer mehr Menschen in Russland haben nicht mehr genug Geld, um sich Essen und Kleidung zu kaufen. Das liegt am niedrigen Ölpreis. Aber es liegt auch an Putin: 16 Jahre hatte er Zeit, das Land zu modernisieren. Er hat sie nicht genutzt.

© SZ vom 13.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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