Russland:Mal beruhigen, mal drohen

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In Aleppo paradieren sie wieder: Assads Soldaten bei einem Marsch durch die Stadt, am Donnerstag vergangener Woche. (Foto: George Ourfalian/AFP)

Der Kreml inszeniert die Heimkehr russischer Soldaten, sagt aber nicht, wie viele weiterhin in Syrien bleiben.

Von Julian Hans

Dass sich in den Aussagen aus Moskau zur Situation in Syrien beruhigende Worte und Drohungen fast täglich abwechseln und bisweilen sogar in einem Atemzug auftauchen, muss nicht unbedingt ein Widerspruch sein. Eher könnte es damit zu tun haben, dass Signale an unterschiedliches Publikum gesandt werden.

An erster Stelle steht natürlich das heimische Publikum, ihm galt Wladimir Putins triumphaler Auftritt auf dem Luftwaffenstützpunkt in Khmeimim am 11. Dezember, von wo aus er ein weiteres Mal den Abzug der russischen Streitkräfte aus der arabischen Republik ankündigte. Die Soldaten sind rechtzeitig zum Neujahrsfest heimgekehrt. Aber weder darüber, wie viele überhaupt dort waren, noch wie viele weiterhin bleiben, gibt das Verteidigungsministerium verlässliche Auskünfte.

Zwei Tage vor Weihnachten meldete Verteidigungsminister Sergej Schojgu dem Präsidenten den erfolgreichen Abschluss des Abzugs. 48 000 Soldaten seien insgesamt während des zwei Jahre dauernden Einsatzes in Syrien gewesen. Die Piloten hätten 34 000 Starts absolviert und 60 318 gegnerische Kämpfer getötet, darunter 2840 russische Staatsbürger, die sich radikalen Gruppen angeschlossen hatten. So eindrucksvoll diese Zahlen wirken, überprüfen lassen sie sich nicht; genauso wenig wie die Angaben über die in dem Land verbleibenden Kräfte. Laut Minister Schojgu bleiben lediglich drei Bataillone der russischen Militärpolizei zurück, um die Situation in den Deeskalationszonen zu überwachen. Außerdem das Personal auf den Stützpunkten Tartus und Khmeimim sowie die Offiziere, die in Syrien Kontakt zu den unterschiedlichen Rebellengruppen halten.

Am vergangenen Donnerstag billigte die Staatsduma erst einmal einen Ausbau der russischen Marinebasis im Hafen von Tartus. Die Zustimmung des Parlaments ist nicht mehr als ein formaler Akt, ein entsprechendes Abkommen mit Damaskus hatte Moskau schon im Januar, also vor fast einem Jahr, unterzeichnet. Dennoch wirkt die Vergrößerung des Stützpunktes bei gleichzeitigem Abzug wie ein Widerspruch.

Und am Montag dann sandte Wladimir Putin erneut eine Drohung an die Adresse der Aufständischen. Ein "breiter Einsatz der russischen Streitkräfte" sei zwar nicht mehr notwendig, falls nötig sei Russland aber jederzeit zu gezielten Schlägen gegen Terroristen bereit. Diese dauern zwar ohnehin unverändert an, doch die Sorge der Russen ist, dass die untereinander verfeindeten Rebellengruppen in den vier Deeskalationszonen ihre Angriffe auf die mit Assad verbündeten Kräfte koordinieren könnten. Die syrische Armee und iranische Einheiten sind gemeinsam mit russischer Militärpolizei und russischer Luftwaffe zwar in jeder Deeskalationszone militärisch überlegen, aber einer Offensive in mehreren Zonen gleichzeitig würden sie wohl nicht standhalten.

Die Deeskalationszonen aber sind die Grundlage, auf der Moskau eine politische Lösung finden möchte. Am 22. Dezember hatten die Teilnehmer der von Moskau initiierten Syrien-Gespräche in Astana vereinbart, Gefangene auszutauschen und Minen zu räumen. Die Schutzmächte Russland, die Türkei und Iran kündigten an, am 29. und 30. Januar in Sotschi Friedensgespräche "unter Beteiligung aller Gruppen der syrischen Gesellschaft" organisieren zu wollen. Ihr Titel: "Kongress des nationalen Dialogs". Doch am Dienstag sagten 40 Rebellengruppen ihre Teilnahme mit der Begründung ab, die Konferenz sei nur ein Versuch Russlands, die von den Vereinten Nationen organisierten Friedensgespräche in Genf zu umgehen.

"Die Expansion Irans ist für die russischen Interessen in Syrien bedrohlich."

Der "Kongress" könne nur funktionieren, wenn es ein Minimum an Vertrauen gebe, sagt Anton Mardasow, Nahost-Experte in Moskau. Dafür müssten aber die Deeskalationszonen stabil sein. Doch Iraner und Assad-Einheiten versuchten immer wieder, ihr Territorium zu erweitern. In der Region Idlib etwa hätten sie trotz Deeskalationszone das durch das Regime kontrollierte Gebiet um ein Drittel ausgedehnt. Das die Rebellen noch immer ein Gebiet direkt vor den Toren der Hauptstadt halten, in dem bis zu 400 000 Menschen leben, lässt Assad keine Ruhe. Jeder Vorwand sei recht für einen Angriff, sagt Mardasow. "Die Opposition hat praktisch keine Stimme, weil sie für jeden Verstoß bestraft wird."

Wenn Moskau die Sotschi-Konferenz zu einem Erfolg bringen will, müsste es Teheran und Damaskus bremsen. Viel hänge deshalb von dem Verhältnis zwischen dem Kreml und dem Weißen Haus in Washington ab, glaubt der Moskauer Experte. Die Russen erinnern zwar in jüngster Zeit immer häufiger daran, dass die US-Präsenz in Syrien gegen das Völkerrecht verstoße. Doch gleichzeitig geben die Amerikaner den Russen Gewicht, um Druck auf Assad und auf Teheran zu machen.

"Iran und Damaskus brauchen den diplomatischen Schutz der Russen", sagt Mardasow. Schon allein wenn Russen und Amerikaner miteinander verhandelten, mache das die regionalen Mächte nervös. "Die Expansion Irans ist für die russischen Interessen in Syrien bedrohlich." Würde es Moskau gelingen, bedeutende Kräfte der sunnitischen Assad-Gegner in Sotschi an den Tisch zu bekommen und sie in eine künftige Führung einzubinden, wäre das ein Gegengewicht zu Iran, das seinen Einfluss in der Region ausdehnt. Israel beobachtet die Entwicklung mit wachsender Unruhe.

© SZ vom 27.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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