Russland:Hoffnung ade

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Bittet in Frankreich um Asyl: Nadeschda Kutepowa. (Foto: oh)

Die Umweltschützerin Nadeschda Kutepowasetzt sich aus Angst vor einer Anklage nach Paris ab.

Von Frank Nienhuysen, München

Es ist ein großer Schritt vom Ural bis nach Paris, und mag die Seine für Russen auch noch so verlockend sein: Nadeschda Kutepowa zog nicht freiwillig um - sie sah sich dazu gezwungen. In Paris fühlt sie sich sicherer. Kutepowa ist eine russische Umweltschützerin, und stimmt es, was sie der Zeitung Moscow Times sagte, stand sie kurz vor dem Beginn strafrechtlicher Ermittlungen wegen Industriespionage. Ihr Anwalt habe ihr jedenfalls geraten, besser das Weite zu suchen.

Kutepowa hatte vor anderthalb Jahrzehnten in der Provinzstadt Osjorsk die Umweltschutzorganisation "Planet der Hoffnung" gegründet. Im Frühjahr dieses Jahres wurde die Organisation gegen ihren Willen im Register der "ausländischen Agenten" aufgenommen, weil sie angeblich politisch tätig ist und Finanzhilfe aus dem Ausland erhalten hat. Aus Letzterem hat Kutepowa nie ein Hehl gemacht, schon allein deshalb, weil sich Umweltschutzorganisationen in Russland oft schwertun, ihre Arbeit zu finanzieren.

Schon bald nach dem Eintrag in die Agentenliste standen Kutepowa und ihre Umweltorganisation im Zentrum mehrerer Filmbeiträge in staatlichen Nachrichtenprogrammen. Darin wurde "Planet der Hoffnung" vorgeworfen, amerikanisches Geld für Industriespionage zu nutzen. Als in einem weiteren Fernsehbeitrag sogar ihr Haus gezeigt wurde, habe sie um ihre Sicherheit gefürchtet und ihren Anwalt eingeschaltet, sagte die Umweltschützerin russischen Medien. Der riet ihr schließlich, das Land zu verlassen.

Und so ist Kutepowa nun also in Paris und bittet dort um Asyl, weit weg von ihrer Heimatstadt Osjorsk, einer geschlossenen Stadt im Gebiet Tscheljabinsk, die einst rund um die Nuklearanlage Majak gebaut worden war. Zu Sowjetzeiten wurde in Majak Material für Kernwaffen hergestellt, derzeit steht dort eine Wiederaufarbeitungsanlage. 1957 gab es in Majak einen der schwersten Nuklearunfälle der Geschichte, und auch Kutepowas Familie war betroffen. Ihr Vater gehörte zu den Liquidatoren, den Aufräumern, und starb später an Krebs. Kutepowa verschrieb sich dem Umweltschutz, half Betroffenen mit Medikamenten, kämpfte um Entschädigungen. In einem der Fernsehbeiträge wurde ihr nun vorgeworfen, ihre Ziele würden "mit den Wünschen des Westens" korrespondieren: die Atomanlage zu schließen und die geschlossene Stadt, die nicht frei zugänglich ist, zu öffnen.

Ob sie tatsächlich wegen Industriespionage angeklagt werden sollte, ist unklar. Verratsprozesse und öffentliche Verdächtigungen in russischen Medien haben jedoch zugenommen. Im Juni etwa wurde der amerikanische Professor Kendrick White denunziert und prompt nach der Sendung als Vizerektor der Universität in Nischnij Nowgorod entlassen. In einer anderen Funktion durfte er schließlich doch bleiben.

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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