Russland:Eliten-Sturz am Kaukasus

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Vor der Präsidentenwahl tauscht Moskau Eliten in der Provinz Dagestan aus: Sie garantierten bisher zwar traumhafte Wahlergebnisse - doch weil ihre Korruption überhand nahm, könnte nun Putins tatsächliche Zustimmungsrate steigen.

Von Julian Hans, Moskau

Sechs Wochen vor der Präsidentschaftswahl versucht der Kreml, die Verhältnisse im Kaukasus neu zu ordnen. In dieser Woche erreichte eine Entlassungswelle in Dagestan einen Höhepunkt. Der Regierungschef der größten Kaukasus-Republik sowie zwei seiner Stellvertreter und ein ehemaliger Bildungsminister wurden festgenommen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen bandenmäßigen Betrug, unerlaubten Waffenbesitz und die Unterschlagung von Geld aus dem Staatshaushalt in Millionenhöhe vor. Die gesamte Regierung der Region musste zurücktreten.

Berichten russischer Medien zufolge stürmte eine Sondereinheit des Geheimdienstes FSB am Montag die Privathäuser der Verdächtigen; dabei hätten die Fahnder große Summen Bargeld sichergestellt, sowie mehrere Pistolen und zwei Maschinengewehre. Die Verdächtigen wurden in ein Moskauer Untersuchungsgefängnis gebracht, ein Gericht erließ Haftbefehl. Am Mittwoch durchsuchten Sicherheitskräfte alle Ministerien.

Der Kreml ließ die Klans in den Regionen lange gewähren. Sie garantierten gute Wahlergebnisse

Dagestan ist die größte Republik im Nordkaukasus. Die etwa 2,9 Millionen Einwohner gehören unterschiedlichen, mehrheitlich muslimischen Völkern an - Awaren, Darginer, Kumyken, Lesgier und Laken, die unterschiedliche Sprachen sprechen und sich untereinander nur auf Russisch verständigen können. Seitdem in der Nachbarrepublik Tschetschenien Ramsan Kadyrow mit rücksichtsloser Gewalt herrscht, ist Dagestan zum neuen Zentrum islamistischer Extremisten im Kaukasus geworden. Immer wieder werden bei Anti-Terror-Operationen Extremisten und Angehörige der Sicherheitskräfte getötet. In der Vergangenheit hatte die Zentralmacht in Moskau die Herrschaft mafiöser Klans in der Republik in Kauf genommen, solange diese die Terroristen in Schach hielten. Das ist nun offenbar vorbei.

Die Ouvertüre für den Austausch der Eliten durch Moskau wurde im vergangenen Herbst gespielt: Im Oktober setzte Wladimir Putin den Republikchef Ramasan Abdulatipow ab und ernannte an seiner Stelle Wladimir Wasiljew. Der Jurist war nach einer Karriere bei der Polizei stellvertretender Innenminister, stellvertretender Chef des Sicherheitsrates und zuletzt als Abgeordneter der Kreml-Partei Einiges Russland Vorsitzender des Sicherheits-Ausschusses in der Staatsduma.

Noch wichtiger aber ist, dass der 68-jährige Wasiljew keiner der nationalen Gruppen der Kaukasus-Republik angehört; sein Vater war Kasache, seine Mutter Russin. Um Rivalitäten auszugleichen, wurde bisher bei der Besetzung politischer Ämter darauf geachtet, das Gleichgewicht zwischen den Regionen und Völkern Dagestans zu wahren. Dass der Präsident einen Mann von außen an die Spitze der Region ernannte, wurde als Vorbote für größere Umwälzungen gedeutet.

Seitdem ist die Republik in Aufruhr; eine Sonderkommission unter Leitung des stellvertretenden Generalstaatsanwalts der Russischen Föderation durchkämmt die Behörden. Beamte werden entlassen oder kündigen den Dienst, um einer Strafverfolgung zuvorzukommen. Im Januar wurde der Bürgermeister der Republikhauptstadt Machatschkala und sein oberster Architekt verhaftet, ihnen wird Betrug bei Immobiliengeschäften vorgeworfen.

Die Korruption habe in Dagestan zuletzt "katastrophale Ausmaße" angenommen, sagte der Kaukasus-Experte Alexej Malaschenko der Zeitung Kommersant. Wenn es Moskau gelinge, die Klanherrschaft zu zerschlagen, könne sich das positiv auf den ganzen Kaukasus auswirken.

Für dieses heikle Vorhaben holte sich Wasiljew nun einen weiteren Mann von außen an seine Seite: Neuer Regierungschef in Dagestan soll Artjom Sdunow werden, der aktuell das Finanzministerium der autonomen Republik Tatarstan im europäischen Teil Russlands leitet. Damit könnte die Erwartung verbunden sein, das chronisch defizitäre Dagestan auch wirtschaftlich zu sanieren. In den vergangenen drei Jahren hatte die Republik mehr Subventionen aus Moskau erhalten als jede andere russische Region.

Jahrelang hat der Kreml die Verantwortlichen in der Region gewähren lassen. Im Gegenzug lieferten sie bei Wahlen - ähnlich wie Tschetschenien - stets fantastische Resultate für den Präsidenten und die Regierungspartei, mit über einhundert Prozent Wahlbeteiligung in eigenen Bezirken. Diese Ergebnisse dürften schwer zu überbieten sein. Die größte Welle von Entlassungen und Verhaftung in Russland seit den Neunzigerjahren könnte nun jedoch die tatsächliche Unterstützung für Putin in der Region steigern. Die alten korrupten Eliten werden beseitigt, die neuen können bis zur Wahl am 18. März noch nicht viel anrichten, um sich unbeliebt zu machen. Das würde zur Vorgabe aus Moskau passen, ein deutliches Votum für Putins vierte Amtszeit zu erzielen - dieses Mal aber mit weniger Fälschungs-Skandalen.

© SZ vom 08.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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