Russland:Ätzende Attacken

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Der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny fürchtet nach einem Anschlag mit einer Chemikalie um sein Augenlicht. Der mutmaßliche Täter wurde identifiziert - doch die Behörden blieben untätig, klagt der Oppositionelle.

Von Julian Hans, Moskau

Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny darf weiterhin nicht ins Ausland reisen, um sein Augenlicht retten zu lassen, das nach einem Anschlag mit einer ätzenden Flüssigkeit bedroht ist. Die Behörden hätten ihm zwar nach fünf Jahren einen Reisepass ausgestellt, seiner Anwältin aber kurz darauf mitgeteilt, dass er das Land nicht verlassen dürfe, schrieb der Politiker am Donnerstag im Internet.

Am vergangenen Freitag hatte ein Angreifer dem Anti-Korruptions-Aktivisten ein grünes Desinfektionsmittel ins Gesicht gespritzt. Ähnliche Attacken hatten sich gehäuft, seit Nawalny im Winter seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen im März 2018 bekannt gab. Diesmal war der Farbe offenbar ein ätzendes Mittel beigemischt, auf dem rechten Auge hat Nawalny 80 Prozent seiner Sehkraft eingebüßt. Moskauer Ärzte raten zu einer Behandlung im Ausland. Anhand von Videos konnten Unterstützer Nawalnys den mutmaßlichen Täter identifizieren. Er soll einer rechtsradikalen Vereinigung angehören und noch am Tag vor dem Angriff im Parlament gewesen sein. Ein Kameramann des kreml-treuen Senders RenTV begleitete ihn offenbar bei der Tat. Die Behörden blieben dennoch untätig, klagt der Angegriffene.

Ob Nawalny im kommenden Frühjahr für die Präsidentschaft kandidieren darf, ist noch unklar

Am Mittwoch wurde das Urteil eines Gerichts in der Stadt Kirow rechtskräftig, das Nawalny wegen Betrugs im Holzhandel zu fünf Jahren auf Bewährung verurteilt hatte. Das Urteil ist fast gleichlautend mit einem Schuldspruch aus dem Jahr 2013, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als politisch motiviert beanstandet hatte. Nawalny will in Berufung gehen und erneut in Straßburg klagen.

Ob er bei der Wahl im kommenden Frühjahr kandidieren darf, ist offen. Das Wahlgesetz verbietet eine Kandidatur verurteilter Straftäter, unabhängig davon, ob die Strafe zur Bewährung ausgesetzt ist. Die russische Verfassung hingegen entzieht das Wahlrecht nur Personen, "die sich aufgrund eines Urteils in einer Strafvollzugsanstalt aufhalten". Welche Regel gilt, soll das Verfassungsgericht klären.

Würde am Sonntag gewählt, wäre er gleichwohl chancenlos. In einer Umfrage des Levada-Zentrums sagten 48 Prozent der Befragten, sie würden für Wladimir Putin stimmen, für Nawalny nur ein Prozent. Die Herausforderung für den Kreml liegt indes weniger im politischen Wettbewerb, der ohnehin nicht fair abläuft. Beunruhigender ist das Mobilisierungs-Potenzial des Oppositionellen. Derzeit eröffnet Nawalny im ganzen Land Wahlkampfbüros. Bisher vermieden es staatliche Medien, auch nur seinen Namen zu erwähnen. Das aber wird immer schwieriger, nachdem Ende März Zigtausende einem Aufruf Nawalnys zu Protesten gegen Korruption gefolgt waren. Weil Ignorieren nicht mehr hilft, ist der Druck auf den Oppositionellen gestiegen.

Gegen seine Wahlstäbe gab es Bombendrohungen, im Internet wurde ein Video verbreitet, das ihn mit Hitler gleichsetzt.

© SZ vom 05.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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