Roland Dumas, Jahrgang 1922, bekleidete mehrere Positionen in der französischen Regierung, darunter den Posten des Außenministers. Später war er Präsident des Verfassungsgerichts, bis ihn eine Affäre zum Rücktritt zwang.
"Ich erinnere mich noch sehr gut an unser erste Begegnung. Das muss 1983 gewesen sein, ich war gerade von Francois Mitterrand zum Europaminister ernannt worden, und zusammen mit meinem Vorgänger als Außenminister, Claude Cheysson, trafen wir Genscher im Schloss St. Cloud bei Paris. Mir ist sofort seine besondere Geistesgegenwart aufgefallen, diesen Eindruck von unserem ersten Treffen habe ich nie vergessen. Er schaute mich fest an, ich ihn auch. Das hat ihn immer ausgemacht, dieser Blick: sehr offen, sehr intensiv, stark. Ich habe sofort gemerkt, dass in ihm etwas sehr Sympathisches lag - und ich sollte recht behalten. Charakter
Er war sehr liebenswert und fröhlich. Er hat gerne Witze erzählt und viel gelacht. Gleichzeitig war er jemand, der immer ganz genau seine Akten kannte. Ich habe von ihm viel gelernt, damals fing ich ja in der internationalen Politik erst an, er machte das schon lange und hatte überall Kenntnisse, war überall geschätzt: nicht nur bei den Europäern, sondern auch bei den Amerikanern.
Hans-Dietrich Genscher sprach kaum Französisch, obwohl er es, das hat er mir mal gebeichtet, sieben oder acht Jahre lang gelernt hat. Einer seiner wenigen Sätze war "Comment allez-vous Monsieur le ministre?", das hat er mich oft im Scherz gefragt. Aber das war auch schon alles. Wir haben viel Deutsch miteinander gesprochen, aber meistens Englisch, das beherrscht er sehr gut.
Hans-Dietrich Genscher und ich haben es immer geschafft, unsere Beziehung über das Politische hinaus zu pflegen. Als wir noch Minister waren, rief er mich manchmal um halb 11 an, fragte was ich mache und kam spontan zum Mittag nach Paris geflogen. Wir haben uns dann in ein Restaurant gesetzt, nur zu zweit, ohne Dolmetscher, Beamte oder irgendwelche Experten. Das machte die Delegationen beider Seiten fast verrückt.
Wir sind immer noch Freunde, auch wenn wir bei unseren Treffen natürlich viel über Politik sprechen. Wir haben uns auch gegenseitig in unsere Freundeskreise eingeführt und natürlich in unsere Familien. Seine Familie hat mich schon in Paris besucht. Zu Hans Dietrich Genschers Geburtstag werde ich zwei Tage in Berlin bleiben, damit wir Zeit füreinander finden, zum Mittag- oder vielleicht sogar zum Abendessen.
Genscher verhandelte nicht zu hart - aber entschlossen
Genscher und ich waren eine Allianz. Er hatte seine Probleme mit Kohl, und ich hatte so meine Probleme mit Mitterrand. Wenn er mal wieder mit Kohl über Kreuz lag, bat er mich, das Mitterrand zu sagen, damit Mitterrand dann wiederum Kohl beeinflusste. Im Grunde waren wir also nicht nur Freunde, sondern Komplizen. Es war eine sehr offene, loyale Zusammenarbeit mit ihm. Bei der Abrüstung zum Beispiel waren Genscher und Kohl unterschiedlicher Meinungen. Da kam Genscher zu mir, ich sprach wiederum mit Mitterrand und sagte ihm: Du musst mit Kohl sprechen. Auf den französischen Präsidenten hat dieser dann gehört. Wie hat er verhandelt?
Er hat sehr ernst verhandelt. Nicht zu hart, aber entschlossen. Er hatte sehr feste Standpunkte, auf die hat er sensibel geachtet. Beim Zwei-plus-Vier-Vertrag zum Beispiel, da war es ihm sehr wichtig, dass die beiden Deutschlands die anderen vier Länder einladen."