Retrospektive:Spröde Lippen

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Christian Petzold erforscht die Liebe, das Filmfest zeigt neue und alte Filme des Berliner Regisseurs. Darin geht es nicht nur, aber immer wieder um dieses Thema.

Von Fritz Göttler

Liebesfilme von ganz eigener Art macht Christian Petzold, gespenstische Filme über die Liebe. Liebe als Experiment, nur das Kino ist fähig, sie zu erfassen in ihrer Vorläufigkeit und Vergeblichkeit, das anklingen zu lassen, was an ihr nicht direkt sichtbar ist. "Das Kino, im Gegensatz zum Theater, besteht wesentlich aus Gegenschüssen", sagt Petzold: "Menschen stehen sich gegenüber und wir sind in dem Zwischenraum, den diese Menschen sich bilden, durch Blicke, Gesten, Wörter."

Menschen im Zwischenraum: Yella aus Wittenberge, die sich im deutschen Niemandsland nach der Wende wiederfindet, sie tut sich mit einem Businessman zusammen (Devid Striesow) und formt eine traumhaft effektive Beziehung mit ihm. Die Ärztin Barbara in der Klinik in der DDR-Provinz, sie will das Land verlassen und wurde strafversetzt und muss um ihre Unabhängigkeit kämpfen - ein Kampf, der sie am meisten selbst verletzt. Ein Kampf, der auch an den der Familie in Petzolds erstem Kinofilm erinnert, Die innere Sicherheit, die Eltern waren gesuchte Terroristen, deshalb müssen sie mit der Tochter undercover leben, mit falschem Namen und ohne Beziehungen zur Umwelt.

Christian Petzold dreht Filme aus der Filmgeschichte heraus, vor jedem Dreh setzt er sich mit seinen Schauspielern zusammen und gemeinsam schauen sie Filme, die der künftige Film reflektieren soll. Im April hatte er im Wiener Filmmuseum eine Retrospektive, in der er auch "Filme seines Lebens" zeigte, und man wird auch auf dem Filmfest sehen, wie fantastisch er Kinogeschichte vermitteln kann.

Zu seinem bislang letzten Kinofilm Phoenix wurde er von einem Text von Harun Farocki inspiriert im Vertigo-Heft der Zeitschrift Filmkritik, in dem auf den französischen Roman "Der Asche entstiegen" hingewiesen wurde. In Phoenix wird ein Leben und eine Liebe (re-)konstruiert in einem komplexen Spiel aus Vergessen, Erinnern und Verdrängen, aus Illusionierung und Desillusionierung. Nelly (Nina Hoss, die auch schon Yella und Barbara war) kommt 1945 aus dem KZ, ihr Gesicht muss operiert werden und ihr Mann erkennt sie nicht mehr - will sie aber als Double benutzen. Vertigo im Nachkriegsdeutschland. Der Film hat manche deutschen Kritiker irritiert, aber die Tür nach Amerika weit aufgestoßen für Christian Petzold.

Es hilft, die Filme nun zusammen zu sehen, in all ihren Wendungen. Barbara Auer, die Mutter aus Die innere Sicherheit, taucht in den Polizeiruf-Filmen wieder auf und macht auch aus dem Krimi-Ermittlerpaar, das sie mit Matthias Brandt abgibt, eine Art Liebespaar. Phantomliebe: "Wer liebt und daran festhält, der zersprengt damit den anderen", schreibt Harun Farocki, der bei den meisten Filmen Petzolds am Drehbuch mitarbeitete. "Wer geliebt wird und daran festhält, der verschwimmt darin."

Die Hommage läuft im Filmmuseum. Genaue Spielzeiten unter: www.filmfest-muenchen.de

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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