Rente:Wohlwollende Rechnung

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Die Bundesregierung will jungen Arbeitnehmern die Angst vor Altersarmut nehmen - und rechnet vor, dass zukünftige Rentner es sogar besser haben als heutige. Kann das richtig sein? Der Sozialbeirat hat da seine Zweifel.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Die Diskussion um das langfristig sinkende Rentenniveau hat viele Bürger verunsichert. Gerade jüngere Arbeitnehmer fragen sich, ob ihre Altersbezüge für ein finanziell einigermaßen sorgenfreies Leben als Rentner reichen. Weniger besorgt ist da die Bundesregierung, zumindest in ihrem Alterssicherungsbericht, den das Kabinett an diesem Mittwoch gebilligt hat. Darin gibt sie sich äußerst hoffnungsfroh, jedenfalls wenn es um diejenigen geht, die zusätzlich privat vorgesorgt haben. Ein Durchschnittsverdiener, der 2025 oder 2030 in Ruhestand geht, sei in diesem Fall insgesamt sogar besser versorgt als Beschäftigte, die 2016 in Rente gehen. So wird es in dem Bericht vorgerechnet. Aber kann das stimmen? Der Sozialbeirat der Bundesregierung hat da seine Zweifel.

Der zwölf Fachleute starke Beirat, in dem Vertreter der Arbeitgeber, Gewerkschaften, der Bundesbank und drei Wissenschaftler sitzen, berät die Bundesregierung in Rentenfragen. Jedes Wort wird in dem Gremium abgewogen. Die Experten würden deshalb nie offen von einer "Milchmädchenrechnung" sprechen, auch wenn sie es vielleicht so meinen - dieser Eindruck drängt sich bei der Lektüre ihres neuen Gutachtens für 2016 auf, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Die langfristigen Zinsannahmen der Bundesregierung nennt der Beirat vorsichtig "nicht zwingend"

Als eine Art Allparteien-Koalition 2002 die Rentenreformen beschloss, hofften SPD, Grüne und Union darauf, dass die staatlich geförderte private Altersvorsorge (Riester-Rente) Einbußen durch das sinkende Rentenniveau ausgleichen kann. Gerechnet wird dabei mit dem sogenannten Gesamtversorgungsniveau. Das beschreibt das Verhältnis der Alterseinkünfte zu den früheren Arbeitseinkünften. Diese Gesamtversorgung setzt sich zusammen aus der gesetzlichen Rente, der ausgezahlten Riester-Rente - und, was weithin unbekannt ist, aus einer zweiten privaten Zusatzrente. Diese ergibt sich, wenn die Versicherten die Steuerersparnis auf Grund ihrer Einzahlungen in die Rentenkasse in einen weiteren Vorsorgevertrag anlegen. Denn seit 2005 werden die Rentenbeiträge von der Besteuerung zunehmend freigestellt, im Gegenzug wird ein immer größerer Teil der Rente besteuert. 2040 unterliegen dann volle 100 Prozent der Rente der Besteuerung. Bei ihren Modellrechnungen unterstellt die Bundesregierung also, dass nicht nur jeder die Höhe dieser Steuerersparnis kennt, sondern diese "angespart und in einen privaten Rentenversicherungsantrag eingezahlt" werde. Entsprechend positiv fällt das Ergebnis für die zukünftigen Rentner aus: Die Modellfälle zeigten, "dass das Netto-Gesamtversorgungsniveau in allen Fällen für künftige Zugänge steigt", heißt es im Alterssicherungsbericht.

Der Sozialbeirat weist nun darauf hin, "dass nicht alle Versicherten in dem in den Modellrechnungen unterstellten Umfang vorsorgen". Auch erscheine "die Annahme optimistisch, dass die durch die ansteigende Steuerfreistellung der Beiträge zur Rentenversicherung verfügbar gemachten Einkommen überhaupt oder gar vollständig zu einem zusätzlichen Altersvorsorgesparen verwendet werden". Tatsächlich dürfte kaum einem Bürger bewusst sein, dass er diese Steuerersparnis von je nach Verdienst 20 bis knapp 150 Euro monatlich auch noch fürs Alter zurücklegen sollte. Kritisch sieht der Sozialbeirat ebenfalls die Berechnungen der Bundesregierung zur Riester-Rente. Im Alterssicherungsbericht geht die Bundesregierung davon aus, dass die Eigenbeiträge "grundsätzlich mit 4,0 Prozent" verzinst werden. Nur für die Jahre 2015 bis 2019 rechnet sie wegen der historisch niedrigen Zinsen erstmals mit niedrigeren Erträgen für Riester-Verträge. Die langfristigen Zinsannahmen hält der Sozialbeirat, verglichen mit der prognostizierten Entwicklung der Löhne und des Wachstums, aber für "nicht zwingend". Schon bei einer Verzinsung von drei Prozent würde das Versorgungsniveau niedriger ausfallen. Der Sozialbeirat regt daher an, in den Rechnungen der Regierung deshalb "auch eine Variante mit niedrigerer Kapitalrendite auszuweisen".

Bislang war allerdings jede Bundesregierung daran interessiert, mit optimistischen Annahmen zu kalkulieren. Denn so wird leichter - zumindest optisch - das politische Ziel erreicht, dass die Riester-Rente das nach 2020 sinkende Rentenniveau ausgleicht. Diese Rechnung steht jedoch ohnehin auf wackligem Boden: Denn in fast jeden fünften der mehr als 16 Millionen Riester-Verträge wird gar nichts mehr eingezahlt. Außerdem unterstellt die Regierung stets, dass die Sparer die volle staatliche Zulage erhalten. Bei den meisten ist dies aber nicht der Fall, da sie selbst nicht genug sparen. Außerdem kalkuliert die Bundesregierung mit Verwaltungskosten von zehn Prozent. Der Sozialbeirat hatte aber bereits 2012 festgestellt, dass diese Kosten auch höher liegen könnten.

© SZ vom 01.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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