Reaktionen:Willkommen im Klub

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"Das ist nicht das Signal eines Neubeginns": Sahra Wagenknecht erwartet nicht viel vom Personalwechsel in der SPD. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Ein bisschen überrumpelt sind die anderen Parteien zunächst schon. Doch ihre Überraschung über den künftigen SPD-Kanzlerkandidaten wird nicht lang währen. Sie dürften sich schnell auf den Neuen einschießen.

Von Nico Fried, Wolfgang Wittl, Stefan Braun und Constanze von Bullion

Mit dem Aufstieg von Martin Schulz steht die letzte wichtige Figur auf dem Spielfeld namens Bundestagswahlkampf. Nun können sich die anderen Parteien positionieren, zwischen Frontalangriff und vorsichtiger Offenheit. Ein Überblick:

CDU/CSU

Die Botschaft aus den Spitzen von CDU und CSU ist eindeutig: Man muss den SPD-Kandidaten ernst nehmen, auch wenn wohl kaum einer mit Martin Schulz gerechnet hat. Im Dauerclinch zwischen CDU und CSU könnte die Festlegung der SPD sogar hilfreich sein, weil es nun für die Unionsschwestern wieder einen gemeinsamen Gegner gibt. Prompt forderte CSU-Chef Horst Seehofer, die Union müsse sich personell "exzellent" aufstellen. Nachdem die SPD schon die Nominierung von Frank-Walter Steinmeier für das Amt des Bundespräsidenten durchgesetzt habe, sei sie nun mit dem neuen Kandidaten noch stärker motiviert. Die Kanzlerin selbst hat sich noch nicht geäußert. Angela Merkel kennt ihren Herausforderer seit vielen Jahren von der europäischen Bühne, man hat Respekt voreinander und pflegte stets einen freundlichen, gelegentlich sogar humorvollen Umgang. Den mutmaßlich heftigen Angriffen des Herausforderers und seiner Redeleidenschaft wird Merkel versuchen, die Souveränität und Erfahrung der Amtsinhaberin gegenüberzustellen.

Grüne

Nimmt man das Gesicht des designierten Kanzlerkandidaten, dann sieht das Spitzenduo der Grünen plötzlich ein bisschen alt aus. Nicht an Jahren, sondern mit Blick auf das Gefühl, dass Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir schon lange in der deutschen Politik unterwegs sind. Vielleicht auch deshalb hat Göring-Eckardt erklärt, dass das, was Schulz bislang von sich gegeben habe, "zu dünn" sei, "um sich darüber Vorstellungen zu machen". Dies gelte vor allem für die Innenpolitik. Es ist bemerkenswert, dass die Spitzenkandidatin der Grünen, deren Partei allzu gerne mit der SPD koalieren würde, jetzt schon den Blick auf mögliche Schwachstellen des potenziellen Partners lenken möchte.

Zumal alle in der Grünen-Spitze um die Stimmung an der eigenen Basis wissen. Und die ist in den vergangenen Wochen fast überall die gleiche gewesen: Bitte nicht Gabriel, mit dem haben wir wenig Hoffnung. Deshalb wird Schulz die Stimmung im grünen Lager aufhellen - ohne dass die es allzu laut sagen werden.

Linke

Die Linkspartei reagierte skeptisch auf den Personalwechsel an der SPD-Spitze. "Das ist nicht das Signal eines Neubeginns, das die SPD setzen möchte", sagte Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht. Zwar habe die SPD offenbar erkannt, dass sie "mit ihrem bisherigen Kurs einen Wähler nach dem anderen vertreibt". Es gebe aus den Reihen der Linken auch "kein großes Bedauern" über den Rückzug Sigmar Gabriels. Ob aber mit Martin Schulz die Chancen für ein rot-rot-grünes Bündnis nach der nächsten Bundestagswahl größer würden, bleibe abzuwarten.

Die Linkspartei muss sich darauf einstellen, dass die SPD unter Schulz bei sozialen Themen angriffslustiger wird. Für die Linke ist das nicht ganz unproblematisch. Denn auch hier hat man sich darauf verständigt, das Thema Gerechtigkeit ins Zentrum des Bundestagswahlkampfs zu stellen. Führende Linken-Politiker aber versuchen den Eindruck zu zerstreuen, mit dem SPD-Personalwechsel wachse in der Linken die Sorge, Wählerstimmen an die SPD zu verlieren. "Warum soll ich mir Sorgen machen, wenn es zunächst mal verbal eine Annäherung an Positionen an die Linke gibt?", fragte Fraktionschef Dietmar Bartsch im Deutschlandfunk.

AfD

Die AfD gibt sich, als wäre dieser Dienstag ein Festtag für ihre Partei, und die Aussicht auf Martin Schulz als SPD-Kanzlerkandidat der SPD ein Geschenk für sie. Einige Kostproben: "Hurra Schulz!" twitterte die Europaabgeordnete Beatrix von Storch. "Herzlichen Dank, wir können unser Glück kaum fassen." Die Vorsitzende Frauke Petry nannte Schulz ein "Symbol für EU-Bürokratie und ein tief gespaltenes Europa". Es sind die erwartbaren Reaktionen aus der AfD, die für ihren Wahlkampf klare Feindbilder braucht. Schulz wird da schon seit Langem gern angegriffen von der Partei, die sich einst aus einem Kreis von Euro-Skeptikern gründete. Partei-Vize Alexander Gauland sagte im Oktober nach einer Rede von Schulz: "Liebe SPD, bitte nehmt ihn als euren Spitzenkandidaten!" Jetzt spricht er von einem Glücksfall für die AfD. Unentschlossene potenzielle AfD-Wähler würde einer wie Schulz nicht umstimmen, sagte Gauland der SZ, "vor dem Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz hätte ich mich eher gefürchtet". Die Parteiführung hat sich noch nicht intensiv mit der bevorstehenden Wahlkampfsituation befasst. Jenseits ihrer offiziellen Statements könnte sie entdecken, dass ein Wahlkampf gegen den populäreren und vergleichsweise unbekannten Schulz schwerer wird als gegen Gabriel. Bei ihm musste nicht erst ein Feindbild aufgebaut werden.

FDP

Die Liberalen tragen mit Blick auf Schulz sehr gespaltene Gefühle mit sich herum. Auch für sie gilt, dass sie Gabriel als einen unberechenbaren und heiklen Partner gesehen haben. Deshalb glaubte so gut wie niemand in den Reihen der FDP daran, mit ihm die unter Liberalen nicht eben beliebte Kanzlerin Angela Merkel ablösen zu können. Entsprechend galt seit Längerem die Losung: Alles andere als Gabriel wäre eigentlich besser. Das Wörtchen eigentlich spielt allerdings eine besondere Rolle. Denn mit einem schwachen Gabriel und einer schwächelnden Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen wollte Parteichef Christian Lindner im Mai an Rhein und Ruhr einen Erfolg einfahren - als Voraussetzung und Brücke hin zu einer Rückkehr in den Bundestag. Schulz dagegen könnte Kraft helfen - und so das Leben der FDP erschweren.

© SZ vom 26.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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