Reaktionen auf Rücktritt von Müntefering:"Er war einer der Besten"

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Für seinen Rücktritt aus familiären Gründen zollen Müntefering Politiker aller Parteien Respekt und äußern Bedauern. Die Vorschläge für politische Konsequenzen fallen jedoch unterschiedlich aus.

T. Denkler, O. Das Gupta, B. Oswald, B. Vorsamer und B. Kruse

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat dem scheidenden Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) für eine vertrauensvolle Arbeit in der Großen Koalition gedankt. Sie habe Münteferings Entscheidung, aus familiären Gründen seine Regierungsämter niederzulegen, zur Kenntnis genommen, sagte Merkel am Dienstagabend.

Franz Müntefering
:Der Vollblut-Politiker

Der politische Spannungsbogen des Franz Müntefering reicht weit: Er wurde als Koordinator gefeiert oder als Kritiker gehasst. Nun wird er 70 Jahre alt. Eine Karriere in Bildern.

"Ich habe dabei gemerkt, dass es Situationen im Leben gibt, die deutlich machen, dass es Wichtigeres gibt als Politik." Müntefering will an der Seite seiner Ehefrau sein, die Krebs hat. "Ich wünsche ihm und seiner Frau das Allerbeste", sagte Merkel. Und: "Heute ist der Tag für ein herzliches Dankeschön an Müntefering."

"Wir haben großen Respekt vor der Entscheidung des Vizekanzlers, sich aus familiären Gründen von seinen Ämtern zurückzuziehen", sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla. "Franz Müntefering war eine wichtige Stütze bis heute für die erfolgreiche Arbeit der Großen Koalition." Es liege jetzt an der SPD, diese Lücke umgehend zu schließen.

Es spreche für den Menschen Franz Müntefering, dass er mit Rücksicht auf seine schwerkranke Ehefrau von seinem Amt lasse, um in dieser schwierigen Zeit ganz für sie da zu sein, sagte Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein. "Franz Müntefering war für Bayern und die CSU bei allen unterschiedlichen Positionen und sich daraus ergebenen Auseinandersetzungen in der Sache immer ein außerordentlich verlässlicher Partner und Politiker."

"Anlass zur Sorge"

Zur Zukunft der Koalition sagte er: "Es besteht jetzt Anlass zur Sorge, dass sich der mit dem SPD-Parteitag eingeleitete Linksruck bei der SPD ohne Franz Müntefering in seinen bisherigen Funktionen noch weiter verfestigen und verstärken wird." Das Ausscheiden Münteferings werde die Arbeit in der Koalition hoffentlich nicht erschweren.

CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer sagt dazu optimistisch: "Wenn ein Scharnier ausfällt, baut man in der Regel ein neues ein. Die SPD hat ein gut bestücktes Ersatzteillager." Auch er betonte, Müntefering sei ein "stabilisierender Anker" der Großen Koalition gewesen. Er selbst schätze Müntefering in höchstem Maße.

Auch CDU-Fraktionschef Volker Kauder glaubt nicht, dass die Causa Müntefering die Arbeit der Großen Koalition beinträchtigen wird - noch nicht einmal in den nächtsten Tagen: "Diese Sitzungswoche wird so normal wie jede andere Sitzungswoche. Wir werden unsere Arbeit machen".

Die Spekulation, dass der Rücktritt von Müntefering neben privaten auch politische Gründe haben könnte, weiß er zurück. "Es gibt keine politischen Motive", es handle sich ausschließlich um persönliche Gründe

CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach sagte sueddeutsche.de, er habe Müntefering als zuverlässigen Verhandlungspartner "kennen- und schätzen gelernt". "Auf sein Wort war Verlass", sagte Bosbach.

"Respekt und Hochachtung"

Ähnlich äußerte sich Minister Horst Seehofer: "Die Rückzugsgründe verdienen höchsten Respekt", sagte der stellvertretende CSU-Vorsitzende der dpa. Er lobte Müntefering: "Franz Müntefering ist ein hochkompetenter, geradliniger und verlässlicher Kabinettskollege."

Der CDU-Politiker Jürgen Rüttgers sagte, Münteferings Erklärung, allein aus familiären Gründen seine Ämter niederlegen zu wollen, "ist ernst zu nehmen und ich glaube ihm. Es wäre schlimm, wenn diese Entscheidung nun mit politischen Spekulationen verbunden würde."

Ebenso äußerte sich der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU), der sein Bedauern über den Rücktritt Münteferings ausdrückte. "Ich habe Respekt und Hochachtung vor der persönlichen Entscheidung Franz Münteferings", sagte Koch. In vielen Verhandlungen habe er den Bundesarbeitsminister als außerordentlich kompetent kennengelernt.

"Merkel hat ihn hängen lassen"

Andere spekulieren jedoch trotzdem, ob nicht doch politische Gründe mit in Münteferings Rücktritt hineingespielt haben.

So sagte Karl Lauterbach, SPD-Sozialexperte zu stern.de:

"Seine private Situation hat bei der Entscheidung sicher eine große Rolle gespielt. Das verstehe ich. Auf der anderen Seite kann ich mir vorstellen, dass Franz Müntefering von der Bundeskanzlerin mehr Vertragstreue erwartet hätte. Beim Thema Mindestlohn hat sie ihn hängenlassen. Innenpolitisch hält die Union schon länger keine Zusagen gegenüber der SPD ein."

Die meisten SPD-Politiker äußerten sich überwiegend bestürzt und bedauernd über den Rücktritt Münteferings.

"Er war einer der besten Arbeitsminister der deutschen Sozialgeschichte", lobte der bayerische SPD-Vorsitzende Franz Maget. Münteferings Einsatz für die Arbeitsmarktreformen und sein Eintreten für gesetzliche Mindestlöhne in Deutschland seien vorbildlich gewesen. Maget bezeichnete den 67-Jährigen als "sozialdemokratisches Urgestein". Dafür werde er in seiner Partei geliebt und verehrt.

Was die Zukunft der Koalition betrifft, zeigt sich Maget optimistisch. "Wir sind voll handlungsfähig", sagte er zu sueddeutsche.de. "Ich sehe keine Gefahr für die Große Koalition."

Münteferings Rücktrittsgründen zollte Maget Bewunderung. "Es nötigt mir großen Respekt ab, wenn man auf ein solch großes politisches Spitzenamt verzichtet aus Hinwendung zu seinem Partner."

Die ehemalige Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) wertete Münteferings Rücktritt als Riesenverlust für ihre Partei und für die Regierung. Zu sueddeutsche.de sagte sie: "Müntefering steht für das S, das Soziale, in unserem Parteinamen."

"Er verkörpert wie kein Zweiter die Grundwerte der SPD und das Thema soziale Gerechtigkeit", sagte auch die SPD-Landesparteivorsitzende Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen. Obwohl Münteferings Entschluss schwer sei für die NRW-SPD verdiene sie Respekt, betonte sie. "Politiker sind auch nur Menschen. Diese Entscheidung zeigt eine enorme menschliche Größe."

"Profilierter Politiker mit hohen moralischen Standards"

Auch Schmidt bewertete Münteferings Begründung so: "Bei uns allen, die es vor wenigen Minuten erfahren haben, ist die Betroffenheit immens, gerade wegen der Begründung. Franz Müntefering hat die Priorität gesetzt, mit seiner schwerkranken Frau zusammen zu sein - das wird von allen hoch geachtet."

Gert Weisskirchen, Sprecher der Arbeitsgruppe Außenpolitik der SPD-Bundestagsfraktion, nahm Münteferings Entscheidung mit "großem Respekt" zur Kenntnis. "Ich hoffe, dass er jetzt seine emotionale Kraft seiner Frau zuwendet", sagte Weisskirchen zu sueddeutsche.de. Nun müsse Parteichef Beck das Heft des Handelns in die Hand nehmen und vorschlagen, wer Müntefering ersetzen solle, "wenn er ersetzbar ist". "Nicht das mindeste Verständnis" hat Weisskirchen für die SPD-Mitglieder, die unmittelbar nach Münteferings Rücktrittsankündigung mit Personalvorschlägen vorpreschen.

"Arbeit gut, Hilfe groß, Mensch klasse"

Alt-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) erklärte, Münteferings Rücktritt sei nicht nur ein Verlust für die SPD und die Bundesregierung, sondern auch für die Politik in Deutschland. Schröder würdigte Müntefering als "großen Sozialdemokraten", "starken Charakter" und "politisches Urgestein". Er sei sicher, dass Münteferings Stimme in der deutschen Politik auch in Zukunft von großem Gewicht sein werde, sagte Schröder über seinen engen politischen Weggefährten.

Zum Ende seiner Stellungnahme bezog sich Schröder auf die für Müntefering typischen knappen Sätze. "Um es im Münte-Sprech zu sagen: Arbeit gut, Hilfe groß, Mensch klasse", betonte der Alt-Kanzler. Schröder fügte hinzu: "Danke Franz!"

Parteivorstands-Mitglied Ursula Engelen-Kefer bedauerte Münteferings Rücktritt. Mit ihm gehe einer der "profiliertesten Politiker mit hohen moralischen und ethischen Standards. Davon haben wir nicht mehr viele", sagte die langjährige DGB-Vizevorsitzende zu sueddeutsche.de.

Johannes Kahrs, Chef des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, sagte sueddeutsche.de, der Rücktritt Münteferings sei familiär verständlich, jedoch politisch "bedauerlich". Der SPD-Abgeordnete Jörg Tauss äußerte sich ähnlich. Er hoffe, "nie vor so einer Entscheidung stehen zu müssen", sagte er sueddeutsche.de, mit Bezug auf die schwere Erkrankung von Münteferings Frau. Familiär sei die Entscheidung vollkommen verständlich. Politisch dagegen "sehr, sehr traurig".

Linke fordert SPD zum Koalitionsbruch auf

Die Linke und die FDP äußern sich hauptsächlich zu den politischen Gründen und Konsequenzen des Rücktritts. So bewertet der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Ulrich Maurer, den Rücktritt von Franz Müntefering als konsequent.

"Jetzt müsste der SPD-Vorsitzende Kurt Beck die Koalition beenden." Wenn die SPD die Regierung nicht verlassen werde, werde sie einen "beispiellosen Niedergang" erleben.

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel nannte Münteferings Rücktritt ebenfalls konsequent und sagte: "Es werden noch weitere Minister folgen. Bei allem Respekt vor familiären Gründen - dass dieser Rücktritt prompt nach dem Koalitionsdesaster der vergangenen Nacht erfolgt, zeigt, dass er auch politische Gründe hat."

Was Müntefering für richtig gehalten habe, den Mindestlohn, habe er nicht durchsetzen können, und was er für falsch erachtet habe, die längere ALG-I-Zahlung, sollte er nun als Erfolg verkaufen, sagte der FDP-Politiker. Da sei der Rücktritt konsequent.

Weniger hart äußern sich die Grünen zu Münteferings Rücktritt. Er markiere nach Einschätzung der Grünen einen tiefen Einschnitt. "Er wird in der Regierung und in der SPD nicht so leicht zu ersetzen sein", sagte Grünen-Chef Reinhard Bütikofer. "Franz Müntefering war eine der entscheidenden Stützen dieser Regierung, er war aber zuletzt erkennbar politisch angeschlagen."

Die Nennung familiärer Gründe "lässt sich auch als letzter Dienst für die Große Koalition lesen, für die er sich so eingesetzt hat", sagte Bütikofer. Auf der Hand liege, dass Müntefering "über die Hartleibigkeit der Kanzlerin und ihren Wortbruch in Sachen Mindestlohn" tief enttäuscht gewesen sei, sagte er mit Blick auf die skeptische Haltung von Merkel zu dieser SPD-Forderung.

Man könne nur spekulieren, ob Müntefering auch zurückgetreten wäre, "wenn die Union den versprochenen Mindestlohn bei der Post nicht hintertrieben hätte", sagte Bütikofer.

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