Psychologie:Ballaballa

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Wie kann man Schweinsteigers Handspiel erklären? Die Wissenschaft weiß, warum auch Fußball-Profis unter extremem Stress genau das tun, was sie unbedingt vermeiden wollen.

Von Werner Bartens

Natürlich war es ungerecht. Mit Frankreich ist nicht die bessere Mannschaft ins Finale der Fußball-Europameisterschaft eingezogen, sondern die glücklichere. Ein Aussetzer von Bastian Schweinsteiger brachte die Vorentscheidung. Ein ähnliches Missgeschick von Jérôme Boateng hatte bereits den Sieg gegen Italien in Gefahr gebracht. Wie kommt es, dass sich Sportler gerade in wichtigen Spielen zu irritierenden Handlungen hinreißen lassen? Boatengs Handspiel war eines Dunkings im Basketball würdig, das Schweinsteigers der Reaktion eines Handballtorwarts. Und auch Oliver Kahn ließ im WM-Finale 2002 einen Schuss so ungeschickt vor die Füße von Brasiliens Ronaldo abtropfen, dass dieser die Führung erzielte.

Erklärungen bieten Hirnphysiologie und Psychologie: Gerade wenn sich jemand vornimmt, etwas auf gar keinen Fall zu tun, werden neben hemmenden Impulsen jene Nervenschleifen aktiviert, die das unerwünschte Bewegungsmuster wahrscheinlicher machen. "Das ist nicht krankhaft, sondern auch der Grund, warum man sich zu jenem Abgrund hingezogen fühlt, den man unter gar keinen Umständen hinabspringen möchte, und näher herangeht", sagt Peter Henningsen, Chef der Psychosomatik an der TU München. Der unbedingte Wunsch nach Vermeidung liefert also das Risiko mit, genau jenes unterdrückte Verhalten anzubahnen. Unser Gehirn hält es mit Bewegungen offenbar ähnlich wie mit der Imagination: Der Aufforderung, sich keinen roten Elefanten vorzustellen, ist nicht nachzukommen, ohne sich das bunte Rüsseltier dick durchgestrichen vorzustellen.

Zudem sind solche Spiele extreme Herausforderungen, die unbewusst ablaufende Übersprungshandlungen provozieren: Kommt ein Überraschungselement hinzu - Schweinsteiger berichtet, dass der Eckball eine unerwartete Flugbahn nahm -, verliert man leichter die Kontrolle. "Unter normalem Stress weiß man, was erlaubt ist und was nicht", sagt Dieter Frey, Sozialpsychologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München, "aber unter extremer Anspannung kommt es zu Handlungen, bei denen plötzlich nicht mehr jede Bewegung unter Kontrolle ist. Der Wunsch, die Gefahr abzuwehren, dass der Stürmer den Ball erreicht, dominiert unbewusst alles."

Immenser Stress ruft zudem gesteigerte Emotionen hervor, die wiederum extreme Handlungen erleichtern: Erst kommt der Affekt, dann der Verstand. "Stark emotionsgesteuertes Handeln begünstigt Regelverletzungen - meist geschieht dies unterschwellig", sagt Frey: "Das erlernte Wertesystem kann bei starkem Stress auch im motorischen Bereich zusammenbrechen: Der Spieler 'greift zum Äußersten', begeht ein böses Foul oder benutzt die Hand." Auch bei Profis bricht dann die Balance aus Gefühl und Verstand zusammen, die sonst unser Handeln reguliert.

Ein Übermaß an Anspannung mag Aussetzer begünstigen. Zwar gelingen große Auftritte nur mit einer gehörigen Portion Aufregung. Ist die Erwartungshaltung jedoch zu groß, drohen Krampf oder schwer zu erklärende Fehler. Selbst für Profis ist der Druck manchmal zu viel. Sie müssen sich dann Luft machen. Und sei es mit der Hand.

© SZ vom 09.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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