Psychologe:"Das können Sie schon bei Freud nachlesen"

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Jürgen Hardt betreibt in Wetzlar eine Praxis für Psychoanalyse und Psychotherapie. Der gelernte Psychologe war Präsident der Psychotherapeutenkammer Hessen. (Foto: oh)

Warum ein Therapeut auf Vertraulichkeit pocht - und diese jetzt gefährdet sieht.

Interview von Wolfgang Janisch

Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung bietet zwar einen Schutz für bestimmte Berufsgruppen, die auf Vertraulichkeit angewiesen sind, etwa Ärzte und Anwälte: Den Sicherheitsbehörden ist der Zugang zu ihren Verkehrsdaten verwehrt, zufällig gewonnene Erkenntnisse dürfen nicht verwertet werden. Ärzte und Psychotherapeuten halten diesen Schutz für unzureichend, sie wollen absolute Vertraulichkeit.

SZ: Herr Hardt, worin liegt die Gefahr der Vorratsdatenspeicherung für Ihre Arbeit?

Jürgen Hardt: Es ist wesentlich für unsere Patienten, dass wir ihnen absolute Diskretion gewährleisten. Das können Sie schon bei Freud nachlesen. Denn wir reden nicht nur über Dinge, die der Patient vor anderen geheim halten will, sondern auch über das, was er sich selbst nicht eingestehen möchte. Nehmen Sie jemanden, der von Mordfantasien heimgesucht wird. So ein Mensch kommt zu uns, um seine asozialen, mörderischen Tendenzen zu offenbaren. Dazu benötigt er absoluten Schutz, und eine Fantasie ist keine Tat.

Aber bei der Vorratsdatenspeicherung werden ja keine Gespräche aufgezeichnet, sondern lediglich Verkehrsdaten - also, wer wann mit wem telefoniert hat.

Meine Sorge ist, dass die Vorratsdatenspeicherung nur ein erster Schritt ist. Man dringt damit, ganz allgemein gesprochen, in die Privatsphäre der Menschen ein.

Wehret den Anfängen?

Ja, denn die Begehrlichkeiten der Sicherheitsindustrie sind sehr hoch.

Aber das Gesetz gewährt Ärzten und Psychotherapeuten doch einen gewissen Schutz davor, dass auf ihre Daten zugegriffen wird.

Ich fürchte, psychisch belastete Patienten könnten durch solche Gesetze unsicherer werden, sich an den Therapeuten oder Analytiker zu wenden, selbst wenn diese Sorge objektiv nicht gerechtfertigt sein mag. Ein Beispiel: Als man anfing, Gespräche in der Praxis zu Dokumentationszwecken auf Tonband aufzuzeichnen, haben manche Patienten äußerst skeptisch reagiert.

Die Kontaktaufnahme zum Therapeuten ist in Gefahr?

Psychische Erkrankungen sind nach wie vor ein Stigma: Man gesteht sich ja heutzutage keine Depression mehr ein, sondern nennt es Burn-out. Deshalb spielt hier immer auch die Angst hinein, angeprangert zu werden. Unser Schweigegebot bezieht sich auch darauf, dass wir nicht veröffentlichen dürfen, ob und wer bei uns in Behandlung ist. Ich habe Patienten, die der Diskretion wegen eigens aus der Großstadt zu mir in die Kleinstadt kommen.

Wird sich das Gesetz auf das Verhalten der Psychotherapeuten auswirken?

Das glaube ich eher nicht. Es sei denn, es ist ein Schritt hin zu weiterer Überwachung, und da ist Skepsis angebracht.

© SZ vom 27.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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