Propaganda:Die Spur der Lügen

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"Täglich registrieren wir Hunderte Attacken", sagt der Wahlkampfmanager des Kandidaten Emmanuel Macron (Mitte). (Foto: Chris Ratcliffe/Bloomberg)

Mit fabrizierten Geschichten mischen russische Medien und Hacker die Wahlkämpfe in Frankreich und den Niederlanden auf. Ihr Ziel ist immer gleich: pro-europäische Politiker.

Von Christian Wernicke und Thomas Kirchner

Es war, gemessen in diplomatischem Kaliber, sehr schweres Geschütz, das Frankreichs Außenminister da am Wochenende auffuhr in Richtung Moskau. "Diese Art der Einmischung in das Leben unserer Demokratie", so sprach Jean-Marc Ayrault, "ist inakzeptabel - und ich prangere das an!" Der Sozialdemokrat im noblen Sitz des Pariser Außenministeriums am Quai d'Orsay ist nicht als Poltergeist bekannt. Es muss einiges passieren, um diesen 67-jährigen Vernunftpolitiker in Rage zu bringen. "Frankreich und die Franzosen", wetterte der Minister im Interview mit dem Journal du Dimanche, "werden es nicht hinnehmen, dass man ihnen ihre Wahl diktiert!"

Für Ayrault scheint die Gefechtslage klar zu sein: Wladimir Putin, der Kreml-Klan und seine staatlich gesteuerten Medien wollen Europa und die EU schwächen - und zu diesem Zweck die Wahl des nächsten Präsidenten in zwei Monaten manipulieren. Beweise? "Es genügt, sich anzuschauen, für welche Kandidaten - nämlich Marine Le Pen oder François Fillon - Russland seine Vorliebe ausdrückt", sagt der Minister. Gleichzeitig attackiere Moskau jedoch Emmanuel Macron, den sozialliberalen Ex-Wirtschaftsminister und alleinigen Pro-Europäer im Wahlkampf: "Macron, der einen sehr europäischen Diskurs pflegt, ist Cyberangriffen ausgesetzt."

Frankreichs Außenminister artikuliert offen, was vertraulich alle Nachrichtendienste Europas befürchten: Russland möchte Einfluss nehmen auf die Wahlen in der EU. Mitte März wählen die Niederländer, Ende April die Franzosen, im Herbst die Deutschen. Das Muster ist bekannt, seit November: Der Triumph des Donald Trump war - jedenfalls nach Lesart westlicher Geheimdienste - auch ein russischer Coup. Denn in Moskaus Auftrag, so mutmaßen die US-Geheimdienste, stahlen anonyme Hacker brisantes Material von Rechnern der Demokraten, um es dann gegen Hillary Clinton in Umlauf zu bringen.

Julian Assange hat mit neuen Veröffentlichungen auf Wikileaks gedroht

Dass sein Kandidat Emmanuel Macron zum nächsten Opfer russischer Konspiration wird - genau diese Angst plagt Richard Ferrand: "Clinton bekam ihr Fett weg, jetzt sind wir dran", befürchtet der Generalsekretär von Macrons Bewegung "En Marche" (EM). Ferrand sieht zwei Kanäle, über die Moskau agiert. Ganz öffentlich instrumentalisiere Putin seine servilen Staatsmedien, um Macron mit einer Schmutzkampagne zu schaden. Die zweite Front hingegen - Hackerangriffe auf Server und Rechner von Macrons Wahlkampagne - bleibt meist unsichtbar und ohne klare Spuren zu den Tätern. "Täglich registrieren wir Hunderte Attacken", sagt Ferrand.

Russlands sichtbare Diffamierungs-Kampagne erreichte ihren bisherigen Höhepunkt am 4. Februar. Da bediente sich Sputniknews, eine regimetreue Moskauer Nachrichtenagentur und Website, des französischen Parlaments-Hinterbänklers Nicolas Dhuicq. Macron sei lebenslang "ein Agent des amerikanischen Bankensystems" gewesen, giftete der erzkatholische Republikaner und Fillon-Fan. Dann orakelte Dhuicq, schon bald würden "fragwürdige Details über sein (Macrons) Privatleben und seine Verbindungen veröffentlicht". Ähnliche Drohungen hatte kurz zuvor Julian Assange verlauten lassen, der Mitbegründer von Wikileaks mit besten Kontakten zu russischen Quellen. Dhuicq wurde bei Sputnik noch deutlicher, er streute Hinweise auf Macrons angebliche Homosexualität ein. Der Himmelsstürmer der Pariser Politik werde in Wahrheit "von einer reichen, schwulen Lobby" getragen.

Seit Jahren wolle Moskau Politik und Medien beeinflussen, heißt es aus den Niederlanden

Zwei Tage vergingen. Zwei Tage, in denen sich Sputniks vermeintliche Enthüllungen hunderttausendfach über Facebook und Twitter verbreiteten. Macron sah sich zur Reaktion gezwungen. Der 39-jährige Kandidat tauchte überraschend bei einer Versammlung Pariser Anhänger in einem Theater auf und verkündete auf offener Bühne, er habe "noch nie im Leben etwas zu verbergen gehabt". Nein, er verbringe "meine Tage und meine Nächte" mit seiner um 24 Jahre älteren Ehefrau Brigitte. Und auch die Nachrede, er führe ein bisexuelles Doppelleben mit Mathieu Gallet, dem Chef des französischen Rundfunks, seien erfunden: "Das muss ein Hologramm von mir sein."

Diesmal hatte Macron die Lacher auf seiner Seite. Aber im Alltag bleibt es für ihn ernst. Längst hat Mounir Mahjoubi, ein Spezialist für Datenschutz und Berater für Macrons Wahlkampf im Netz, die Computer in der Kampagnenzentrale neu sortiert: "Der Rechner für unsere Internetseite hat keinerlei Verbindungen zu unserem internen Netz, nicht zu unseren Daten, nicht zu unseren E-Mails." Eindeutige Beweise für Hacker und Hintermänner aber haben bisher weder Macrons Kampagne noch Frankreichs Geheimdienste. Und was sie wissen, wollen sie nicht ausplaudern. Auch nicht Ayrault. "Wenn wir preisgeben, was wir über die Cyberangriffe wissen, dann warnen wir nur die Hacker", sagt eine hohe Regierungsmitarbeiterin.

Auch die Niederlande sehen sich als Ziel von Angriffen russischer Hacker. Zwei Gruppen hätten kürzlich versucht, in die Computer mehrerer Ministerien einzudringen, berichtete die Zeitung Volkskrant kürzlich unter Berufung auf Sicherheitskreise. Das Büro des Ministerpräsidenten sei ebenfalls betroffen gewesen. Es handle sich um dieselben Gruppen - bekannt als Cozy Bear und Fancy Bear -, die auch die US-Demokraten attackiert hätten. Es sei ihnen aber nicht gelungen, sensible Daten zu erbeuten. Der niederländische Geheimdienst erklärte im Januar, Russland versuche seit Jahren, Politik, Kultur und Medien des Landes in seinem Sinne zu beeinflussen, führte aber keine Beispiele an.

Um mögliche Manipulationen von Wahlmaschinen zu verhindern, soll bei der Wahl Mitte März nun mit der Hand ausgezählt werden. Die Ergebnisse werden von Boten zu den regionalen Wahlbüros gebracht. Erst am Schluss kommen Computer zum Einsatz. Genau so versuchte neulich auch Louis Gautier die Franzosen zu beruhigen. "Das Risiko einer Wahlfälschung ist gleich null", beteuerte der Generalsekretär für nationale Sicherheit im Verteidigungsministerium. Der Chef von Frankreichs Spionageabwehr baut auf alte Lösungen: "Abgestimmt wird mit Wahlzetteln, und gezählt wird mit der Hand."

© SZ vom 23.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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