Prognose:Nach oben offen

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Chinas Wirtschaft soll weiterhin ohne Pause wachsen. Für dieses Jahr sagt Ministerpräsident Li Kequiang 6,5 Prozent voraus. Doch die Frage ist, was der Wirtschaft zu dieser ohne Zweifel sehr eindrucksvollen Quote verhilft.

Von Christoph Giesen

2017 ist ein Jahr der Langeweile in China, so sieht es der Plan der Führung vor. Im Herbst steht der 19. Parteitag an, die Macht in der Volksrepublik wird dann zum Teil neu vergeben. Im Hintergrund wird schon seit Monaten um Posten gerungen. In der Öffentlichkeit aber soll alles geordnet zugehen, keine Ablenkung, keine Debatten, keine Skandale. Auf keinen Fall ein Chaos wie 2012, als die Kommunistische Partei das letzte Mal zusammentrat. Der Polizeichef von Chongqing flüchtete damals ins amerikanische Generalkonsulat in Chengdu, er blieb über Nacht und ließ einen Stapel Akten zurück. Daraus entwickelte sich die schwerste Krise der Partei seit dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989. Der machthungrige Bo Xilai wurde schließlich gemeinsam mit seiner Frau Gu Kailai verhaftet. Er wegen Korruption, sie wegen Mordes an dem Briten Neil Heywood.

Die Folge der verordneten Langeweile ist Stillstand in allen Ministerien: Entscheidungen werden vertagt, niemand hat den Mut, etwas voranzutreiben. Das gilt auch für die Wirtschaft der Volksrepublik. Das Wachstumsziel, das Premierminister Li Keqiang am Sonntag zur Eröffnung des Volkskongress verkünden wird, dürfte wieder bei etwa 6,5 Prozent liegen. Eine eindrucksvolle Zahl, doch in Wahrheit wächst China vor allem deshalb, weil der Staat investiert und neue Kredite aufnimmt. Seit den Olympischen Spielen im Sommer 2008 hat sich die Gesamtverschuldung in China gut vervierfacht. Alleine die Staatskonzerne haben Schulden in Höhe von etwa 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in ihren Bilanzen stehen.

Dabei hatte Parteichef Xi Jinping der Volksrepublik nur ein Jahr nach seinem Amtsantritt weitreichende Reformen verordnet. Dem dritten Plenum des Zentralkomitees, das 2013 die Pläne verabschiedete, sei ein historischer Wurf gelungen, jubelte die Propaganda. Auch im Ausland war man zuversichtlich. In der Tat waren die Ankündigungen eindrucksvoll: Weniger staatliche Eingriffe, versprach Xi. Die Macht der Staatskonzerne sollte schwinden, das Bankensystem umgebaut und die Einschränkungen für ausländische Unternehmen zurückgenommen werden. Doch was ist seitdem geschehen?

Vor anderthalb Jahren hat die EU-Handelskammer in Peking die Umsetzung der Wirtschaftsreformen untersucht. "Reality Check" nannte die Kammer das. Das Ergebnis war mehr als ernüchternd. "Wir haben es damals auf die Formel 70, 20, 10 gebracht", sagt Kammerpräsident Jörg Wuttke. 70 Prozent der Reformen waren nur teilweise umgesetzt, bei 20 Prozent gab es gar keine Bemühungen, lediglich zehn Prozent Erfolg, attestierte die EU-Kammer. "Diese Einschätzung gilt noch immer", sagt Wuttke. "Wobei die spürbaren Veränderungen im Herbst 2015 vor allem im Finanzsektor wahrzunehmen waren. Und genau dort hat die Regierung in den vergangenen Monaten leider wieder massiv eingegriffen", moniert Wuttke.

Ende November 2016 lud die Devisenaufsicht in Shanghai Vertreter von 20 Banken ein und teilte ihnen mündlich neue Regeln mit. Unternehmen, die künftig mehr als fünf Millionen Dollar ins Ausland überweisen möchten, müssen sich diese Zahlungen von den Behörden genehmigen lassen. Sind das der freie Markt und die Globalisierung, die Parteichef Xi bei seiner Rede in Davos im Januar beschwor? Der Grund für die drastische Maßnahme: Die chinesische Führung hat Schwierigkeiten, die Kapitalflucht aus dem eigenen Land in den Griff zu bekommen. Im Juni 2014 waren Chinas Währungsreserven mit knapp vier Billionen Dollar der mit Abstand größte Devisenschatz der Welt. Um fast eine Billion Dollar ist der Betrag seitdem abgeschmolzen. Die Chinesische Volksbank musste mit Stützkäufen den Yuan stabilisieren, weil einfach zu viel Geld illegal aus der Volksrepublik abfließt. Vor dem Parteitag soll damit endlich Schluss sein, keine Währungsschwankungen mehr, koste es, was es wolle.

Ebenfalls Ende November beschloss der Staatsrat, Auslandsinvestitionen chinesischer Unternehmen von mehr als zehn Milliarden Dollar vorübergehend zu untersagen. Erst im Herbst, wenn die Partei tagt, dürfen die Firmen wohl ihre große Shoppingtour fortsetzen. Zu groß ist offenbar die Furcht, dass vorher chinesische Unternehmen mit Milliarden-Akquisition in der Ferne für Furore sorgen könnten. Das aber ist nicht gewünscht im Jahr der Langeweile.

© SZ vom 03.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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