Profil:Toya Graham

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Strenge, zugleich aber liebevolle Mutter und Heldin von Baltimore.

Von Nicolas Richter

Der Blick einer Mutter täuscht nicht: Als Toya Graham die Randalierer in Baltimore betrachtete, erkannte sie in der Menge ihren eigenen Sohn, obwohl er eine Gesichtsmaske trug und die Kapuze über den Kopf gezogen hatte. Da geriet sie außer sich, zerrte den 16-Jährigen von der Straße und ohrfeigte ihn - nur mit der rechten Hand, denn mit der linken umklammerte sie ein Mobiltelefon in rosa Schutzhülle.

Für Szenen wie diese hält die englische Sprache den schönen Begriff "tough love" bereit. Wegen dieser strengen Liebe oder liebevollen Strenge ist Graham nun landesweit berühmt. Eine Kamera fing sie dabei ein, wie sie ihren Sohn laut schimpfend züchtigte. In einem späteren Interview, sie hatte sich längst beruhigt, schilderte sie, wie schockiert und wütend sie darüber war, ihren Sohn unter Vandalen zu sehen, die Steine auf Polizisten warfen. Vor allem aber fürchtete sie um sein Leben. "Er ist mein einziger Sohn, und ich möchte nicht, dass er am Ende ein Freddie Gray wird."

Freddie Gray war ein junger Arbeitsloser, den die Polizei in Baltimore bei der Festnahme tödlich verletzt hat. Sein Tod löste die jüngsten Krawalle aus, und nun diskutiert das Land wieder einmal über Polizeigewalt und Armut, aber auch über Erziehung in Amerikas verwahrlosten Stadtvierteln. Graham ist jetzt eine Heldin des Alltags. Die Bilder ihrer Lehrstunde sind längst ein Internetklassiker, und die Netzgemeinde hat ihrem Sohn einen guten Rat erteilt: "Du solltest nicht böse sein auf deine Mutter, sondern sie umarmen." Polizeichef Anthony Batts ließ wissen, er wünsche sich mehr solcher Eltern.

Toya Graham lebt mit ihren sechs Kindern allein, ohne den oder die Väter, und das ist in schwarzen Familien leider die Regel, besonders in der Unterschicht. 70 Prozent der schwarzen Kinder in den USA wachsen mit nur einem Elternteil auf, meistens mit der Mutter. Gerade in den Armenvierteln sitzen junge Männer oft in Haft oder sterben in Bandenkriegen, etliche aber entziehen sich auch ihrer Verantwortung. Präsident Barack Obama hat junge schwarze Männer aufgefordert, sich um ihre Kinder zu kümmern. Ebenso der Komiker Bill Cosby, der früher als moralische Autorität galt. Cosby hat die Folgen guter Erziehung auf das Gewissen junger Männer einmal so erklärt: Sie lassen Straftaten bleiben, nicht so sehr, weil sie einen Tritt in den Hintern bekommen könnten, sondern weil sie ihre Mutter blamieren würden.

Toya Graham bezeichnet sich als "nicht-tolerante" Mutter. Manchmal erteile sie ihrem Sohn Hausarrest, damit er draußen keinen Blödsinn mache. Aber sie weiß auch, dass er sich das nicht ewig bieten lässt. "Irgendwann gehen die Kinder ihren eigenen Weg", sagt sie. Immerhin hat sie ihren Sohn jetzt noch einmal rechtzeitig erwischt. "Er wusste, dass er Ärger kriegt", erzählt sie. "Später sagte er: Mama, als ich dich gesehen habe, spürte ich, dass ich schleunigst weglaufen sollte." Strenge Liebe schreckt manchmal mehr ab als Schlagstöcke der Polizei.

© SZ vom 30.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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