Prävention:Der kurze Arm der Justiz

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Nach den Massakern vor 20 Jahren gibt es internationale Gerichte und politische Schutzpflichten. Hilfe garantieren sie nicht.

Von Ronen Steinke

Hat denn die Weltgemeinschaft nichts gelernt aus ihrem Versagen beim Völkermord in Ruanda vor zwanzig Jahren? Die Frage lässt sich auf den ersten Blick leicht beantworten. Natürlich hat sie Konsequenzen gezogen. Viele sogar. Deshalb steht heute, anders als damals, eine Reihe internationaler Institutionen bereit, um einzuschreiten, wenn ein Präsident wie jetzt der burundische solch erbarmungslose Sätze von sich gibt: Seine Polizei sei es leid, "nur" auf Arme und Beine zu schießen.

Für den Fortschritt stehen vor allem zwei Städte, Den Haag und New York. Es gibt da heute, erstens, einen Internationalen Strafgerichtshof, gegründet in den späten Neunzigerjahren als Konsequenz aus dem Versagen in Ruanda und auf dem Balkan. In Ruanda hatten Blauhelm-Soldaten der Vereinten Nationen die Anweisung gehabt, sich nicht einzumischen, während um sie herum Hutu-Extremisten wüteten und binnen hundert Tagen etwa 800 000 Menschen töteten. Auf dem Balkan konnte im Juli 1995 das Massaker von Srebrenica direkt unter den Augen der UN geschehen.

Nun hat die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs, die Gambierin Fatou Bensouda, die Mächtigen in Burundi direkt angesprochen und sie gewarnt: "Niemand sollte an meiner Entschlossenheit zweifeln, mein Mandat auszuüben, damit die Täter nicht straflos ausgehen." Wer zur Massengewalt anstachele, "ob durch Befehl, Bitten, Anstiftung oder eine andere Form der Teilnahme", der begehe ein Menschheitsverbrechen. Die Botschaft: Mag sein, dass in dem ostafrikanischen Krisenstaat die Mächtigen die Justiz am Gängelband führen. Der Gerichtshof aber könne einspringen und verhindern, dass ein rechtsfreier Raum entsteht.

Und er beobachtet genau, was geschieht, wenn auch erst mal nur aus öffentlichen Quellen. Zweitens ist am Montag in New York der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zusammengekommen und hat die tödliche Gewalt in Burundi scharf verurteilt. Auch bei den UN hat man aus dem Versagen der Neunzigerjahre Konsequenzen gezogen: "Responsibility to protect", zu deutsch: Schutzverantwortung, ist eine politische Selbstverpflichtung, die einige Staaten in den vergangenen Jahren eingegangen sind. Zwar ignorieren Machthaber wie jetzt in Burundi immer wieder ihre Schutzverantwortung. Umso mehr aber fühlen sich nun internationale Akteure an dem Hufeneisen-Tisch in New York berechtigt, ja sogar in der Pflicht, mit Gewalt dazwischenzugehen. So zumindest die Idee. Ob den neuen Worten Taten folgen, bleibt indes weiter eine Frage für sich. So zwingend, wie die völkerrechtlichen Mechanismen klingen, sind sie nicht. Und so lenkt der aktuelle Fall den Blick auch auf die fortdauernde Schwäche der politischen Versprechen aus Den Haag und New York, Massenverbrechen zu verhindern.

Ob das Weltstrafgericht wirklich abschreckend wirkt, ist nach den ersten Erfahrungen der vergangenen Jahre offen. Bei Persönlichkeiten des Typs Muammar al-Gaddafi, die sich an ihrer Macht und historischen Rolle berauschen bis hin zum Vernichtungswahn, ist die Wirkung von Strafdrohungen seit jeher zweifelhaft. Hinzu kommt: Den Haag ist weit entfernt. Die Juristen dort können Beweise sammeln und Anklageschriften verfassen, zum Beispiel gegen Burundis Präsidenten Pierre Nkurunziza. Verhaften könnten sie ihn aber nicht. Der Gerichtshof hat keine eigene Polizei. Er ist stattdessen darauf angewiesen, dass der Beschuldigte sich selbst stellt, oder dass seine politischen Gegner ihn ausliefern.

Mit diesem Risiko lebt beispielsweise Sudans Diktator Omar al-Baschir bereits seit 2008 nicht schlecht. Eine Zeit lang war er in seinen Reiseplänen eingeschränkt. Inzwischen aber reist er wieder als Staatsgast nach China oder Südafrika, sowie - Paria-Status hin oder her - als Redner zur Vollversammlung der UN nach New York. Für die Aufarbeitung der Vergangenheit kann Den Haag einiges leisten. Eine schnelle Intervention aber sieht anders aus.

Schnell Einfluss nehmen könnten Soldaten, entsandt von ausländischen Regierungen. In den späten Neunzigern sprachen Politiker von "humanitärer Intervention", wenn sie forderten, zum Schutz von Menschenrechten auch Kampfjets und Friedenstruppen zu schicken - in größtmöglicher Abgrenzung von dem fatalen Herumdrucksen, mit dem sich zuvor die Weltgemeinschaft in Ruanda des Unterlassens schuldig gemacht hatte.

Nach der umstrittenen Kosovo-Kampagne der Nato im Jahr 1999 aber sind die völkerrechtlichen Vorstellungen zurückhaltender geworden. Wenn heute von "Responsibility to protect" die Rede ist, dann meint dies ein deutlich bescheideneres Konzept. Dort, wo ein brutales Regime Verbrechen an der eigenen Bevölkerung begeht, müsse die internationale Gemeinschaft mit Gewalt einschreiten dürfen. Aber: Nur dann, wenn der Sicherheitsrat dies gutheißt. Das heißt: Wenn die Veto-Mächte sich entgegenstellen, können die UN in Burundi so wenig bewegen wie in Ruanda 1994.

© SZ vom 10.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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