Polen:Weitreichende Vollmachten

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Ein neues Gesetz stellt Aussagen unter Strafe, die dem polnischen Volk oder Staat eine Mitverantwortung an Nazi-Verbrechen zuschreiben.

Von Alexandra Föderl-Schmid und Florian Hassel, Warschau/Tel Aviv

Es war wie so oft, wenn Polens Regierung ein Gesetz durchsetzen will: Proteste in Polen und anderen Ländern, Krisensitzungen, nächtliche Beratungen - und am Ende wird das Gesetz unverändert beschlossen. Und so gibt es nun ein Gesetz, das den "guten Namen der Polnischen Republik und des polnischen Volkes" schützen soll und jedem - sei er Pole oder Ausländer - mit bis zu drei Jahren Gefängnis droht, der "öffentlich und entgegen den Fakten dem polnischen Volk oder dem polnischen Staat die Verantwortung oder Mitverantwortung für nazistische Verbrechen zuschreibt, die während des 3. Deutschen Reiches begangen wurden". Zuständig für die juristische Verfolgung soll das Institut für nationales Gedenken (IPN) sein - eine Behörde mit weitreichenden Vollmachten bis hin zu eigenen Staatsanwälten.

Der Aktionszeitraum des IPN ist weit gesteckt: vom 8. November 1917 bis zum 31. Juli 1990. Auch wer Polen andere Verbrechen gegen Frieden, Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen zuschreibt oder "auf andere Art die wahre Verantwortung der Täter krass verringert", soll mit bis zu drei Jahren Haft rechnen müssen.

Die polnische Regierung rechtfertigte sich, sie wolle endlich Schluss mit dem Begriff "polnische Konzentrationslager" machen - ein sprachlicher Fehlgriff, der selbst US-Präsident Barack Obama einmal unterlief. Doch dass das Gesetz etwa in Tel Aviv oder Washington zu scharfer Kritik führt, liegt sowohl am weit auslegbaren Gesetzestext, wie am revisionistisch-nationalistischen Geschichtsansatz der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) unter ihrem Chef Jarosław Kaczyński.

Ein neues Institut ist auch für die "Festigung der Volksidentität" zuständig

Schon jetzt kann Polen Beleidigungen gegen Staat oder Volk auf Basis von Artikel 133 des Strafgesetzbuches mit bis zu drei Jahren Gefängnis ahnden. Auch Polens letzte Regierung nahm ihren Kampf um historische Wahrheit ernst: Ein Gericht in Krakau führte 2015 einen Prozess gegen das ZDF, weil der Sender in einer Dokumentation über die Befreiung der deutschen Konzentrationslager in Polen den Begriff "polnische Konzentrationslager" verwendet hatte. Die Pis-Regierung aber geht weiter. Das IPN etwa ist auch für die "Schaffung von Patriotismus und Festigung der Volksidentität" zuständig. Dunkle Seiten der polnischen Geschichte werden gern ausgespart oder geleugnet.

Der polnischstämmige Historiker Jan Tomasz Gross etwa schilderte schon 2001 im Buch "Die Nachbarn", wie polnische Bewohner des unter deutscher Besatzung stehenden Dorfes Jedwabne 1941 mehrere Hundert jüdische Nachbarn zusammentrieben und schließlich in einem Holzgebäude verbrannten. Als die Pis dem IPN 2016 einen parteinahen Historiker als neuen Direktor verordnete, bestritt dieser die polnische Verantwortung für das Jedwabne-Massaker.

2015 schrieb Historiker Gross in einem Kommentar, die Polen seien zwar "verdientermaßen stolz auf den Anti-Nazi-Widerstand ihrer Gesellschaft", hätten aber während des Krieges "tatsächlich mehr Juden als Deutsche getötet". Mit dieser Passage meinte der selbst jüdische Gross Morde an Juden durch Kämpfer der polnischen Untergrundarmee und andere Polen. Im April 2016 musste Gross unter dem Verdacht, Polens guten Namen beleidigt zu haben, in Krakau beim Staatsanwalt antreten.

In jüngster Zeit machte ein Aufmarsch polnischer Nationalisten am 11. November Schlagzeilen. Dabei waren auch antisemitische Parolen zu hören, doch Polens Innenminister pries den "schönen Anblick" des Marsches. Vor Kurzem berichtete der Fernsehsender TVN über polnische Neonazis und Antisemiten, teils mit Kontakten zu Regierungspolitikern.

Derlei Hintergrund erklärt die scharfen Reaktionen Israels auf das Gesetz: Dieses stelle "ein Abstreifen der eigenen Verantwortung dar und eine Verleugnung von Polens Anteil am Holocaust an den Juden", sagte der israelische Geheimdienstminister Israel Katz. Nachdem Polens untere Parlamentskammer das Gesetz am Freitag vergangener Woche annahm, telefonierte Premierminister Benjamin Netanjahu mit Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki - und versicherte danach, beide Seiten hätten einen Dialog vereinbart. Wie sich zeigte, verstanden die Polen darunter lediglich eine gemeinsame Historikerkommission.

Noch am Dienstag forderten nicht nur Israel, sondern auch Dutzende polnische Intellektuelle, Juristen und Staatsmänner bis zu Ex-Präsident Alexander Kwaśniewski und das US-Außenministerium die polnische Regierung auf, das Gesetz im Senat abzulehnen, der oberen Parlamentskammer. Warschau solle über mögliche Folgen für "Polens strategische Interessen und Beziehungen, auch zu den USA und Israel" nachdenken, mahnte das State Department. Am Dienstagabend rief Pis-Chef Kaczyński Ministerpräsident Morawiecki und andere Minister zur Krisensitzung in die Parteizentrale - und gab die Weisung aus: weiter wie bisher. Vize-Regierungschefin Beata Szydło verkündete, das Gesetz werde beschlossen. So nahm der regierungskontrollierte Senat das Gesetz kurz vor ein Uhr nachts unverändert an. Staatspräsident Andrzej Duda kann das Gesetz noch verhindern, indem er seine Unterschrift verweigert. Doch der Antwort auf diese Frage, was er tun werde, wich Duda bisher aus.

© SZ vom 02.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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