Polen:Verfassungsgericht in Nöten

Lesezeit: 1 min

Das von der rechts-populistischen PiS dominierte Parlament beschneidet die Macht der Richter.

Von Florian Hassel, Warschau

Das polnische Parlament hat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause eine überarbeitete Gesetzesgrundlage für das Verfassungsgericht beschlossen. Diese schränkt die Arbeit der obersten Richter fast ebenso ein, wie ein Gesetz, das am 9. März von eben jenem Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden war. Auch die für Rechtsfragen zuständige Venedig-Kommission des Europarates hat festgestellt, das Gesetz widerspreche internationalen Normen.

Das von der rechtspopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (Pis) mit absoluter Mehrheit beherrschte Parlament missachtete auch mit dem überarbeiteten, am Freitag beschlossenen Gesetz die zentralen Forderungen der Venedig-Kommission: Dass Polens Regierung und Parlament verpflichtet bleiben, ausnahmslos alle Urteile der Verfassungsrichter zu befolgen und zu veröffentlichen. Auch das neue Gesetz sieht nicht vor, das Schlüsselurteil des Verfassungsgerichts vom 9. März zu veröffentlichen, das die Grundsätze von Rechtsstaat und Gewaltenteilung in Polen bekräftigt. Regierung, Parlament und der ebenfalls von der Pis gestellte Präsident weigern sich weiter, drei noch unter der Vorgängerregierung rechtmäßig gewählte Verfassungsrichter zu vereidigen. Die Pis will möglichst parteitreue Richter installieren und so weiteren Einfluss über das Gericht gewinnen.

Wenn der Präsident das neue Gesetz unterschreibt, wird es die Unabhängigkeit und die Arbeitsfähigkeit des Verfassungsgerichtes faktisch aufheben. So sollen in dem insgesamt fünfzehn Richter zählenden Gericht die Stimmen von vier Richtern ausreichen, um die Verkündung eines fertigen Urteils mehrmals zu verschieben. Die Richter sollen über Klagen nur in der Reihenfolge ihres Eingangs entscheiden dürfen: Dies würde im Zusammenspiel mit weiteren Regeln und mehr als 200 anstehenden Klagen bedeuten, dass keine der vielen Klagen gegen möglicherweise verfassungswidrige Gesetze der neuen Regierung in absehbarer Zeit verhandelt wird. Wichtige Fragen sollen nur mit einer Mehrheit von mindestens elf Richtern entschieden werden dürfen. Rechtsexperten sehen dies als verfassungswidrigen Eingriff in die Richterautonomie. Zudem sollen wichtige Urteile nicht gefällt werden dürfen, wenn der von der Regierung gestellte Generalstaatsanwalt nicht an der Verhandlung teilnimmt.

© SZ vom 23.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: