Polen:Sabotage!

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Senioren aus Danzig beim Kartenspiel: Mit der Rentenreform der Pis dürfen polnische Männer wieder mit 65 in Rente gehen, Frauen sogar mit 60. (Foto: imago)

Angesichts schlechter Wirtschaftszahlen wirft Polens starker Mann Kaczyński Unternehmern mangelnden Patriotismus vor.

Von Florian Hassel, Warschau

Manchmal verhageln die eigenen Statistiker einer Regierung ihren Jubeltag. Am 16. November, genau ein Jahr nachdem in Polen die von der rechtspopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) gestellte Regierung vereidigt worden ist, beschloss das Pis-dominierte Parlament eine Rentenreform: Sie nimmt eine erst vier Jahre zuvor beschlossene Reform zurück, die das Rentenalter angesichts einer schrumpfenden, alternden Bevölkerung auf 67 Jahre erhöht hatte. Künftig können polnische Männer wieder mit 65 Jahren in Rente gehen, Frauen gar mit 60 Jahren. Mit der Absenkung des Rentenalters löste die Pis-Regierung ein Wahlversprechen ein. Parteichef Jarosław Kaczyński, Polens eigentlicher Herrscher, feierte dies und ein Jahr Regierung mit mehreren Auftritten im Staatsfernsehen.

Nur das staatliche Statistikamt GUS wollte nicht mitspielen - und veröffentlichte unerfreuliche Zahlen: Polens Wirtschaft wächst schwächer als erwartet, und Investitionen polnischer Firmen sind dramatisch zurückgegangen, bei sich weiter eintrübender Tendenz. Parteichef Kaczyński hatte dafür eine interessante Erklärung parat: die Sabotage seiner Regierung durch feindliche Unternehmer. "Mit den Oppositionsparteien verbundene Unternehmer wollen keine wirtschaftlichen Initiativen beginnen, selbst wenn sie gewinnbringend sind, weil sie denken, dass es besser ist abzuwarten, bis die alten Zeiten zurückkehren" - Zeiten, als nicht die Pis in Polen regierte. "Ich versichere - diese Zeiten kehren nicht zurück", sagte Kaczyński am 16. November in den Abendsendungen des Fernsehsenders TVP und TVP Info. Derlei Rhetorik erinnerte Kritiker an Schuldzuweisungen an Unternehmer in Zeiten der kommunistischen Volksrepublik.

Zwar sehen die Wirtschaftszahlen auf den ersten Blick nicht schlecht aus: Polens Wirtschaft wuchs von Juli bis September um 2,5 Prozent. Die Regierung hatte aber 3,8 Prozent vorausgesagt. Dass die Wirtschaft überhaupt wuchs, lag zudem vor allem am privaten Konsum: Den befeuert die Regierung seit dem Frühjahr mit zusätzlichem Kindergeld für alle Familien mit mindestens zwei Kindern. Polens Unternehmer aber sind deutlich skeptischer. Während Firmen, die Ausländern gehören, sich offenbar sicher fühlen und ihre Investitionen deutlich erhöhten, fuhren polnische Firmen sowie regionale und lokale Verwaltungen ihre Investitionen teils zurück. Bei mittleren und größeren Unternehmen betrug das Minus von Januar bis September 2016 im Vergleich zum Vorjahr gut neun Prozent. Und bis Jahresende sehen Geschäftsleute eine weitere "entscheidende Verschlechterung der Bedingungen für die nationale Wirtschaft" voraus, berichtete die Zeitung Rzeczpospolita über eine Umfrage der Firma Keralla Research. Auch der Investitionsindikator "Barometr EFL" des Europäischen Leasingfonds zeige weiter nach unten. Ökonomen rechnen nun mit einem Rückgang des Wachstums auf unter zwei Prozent.

Für die Eintrübung der Unternehmerstimmung gibt es mehrere Gründe. Zwar wirbt der für Wirtschaftsförderung und Finanzen zuständige Vize-Ministerpräsident Mateusz Morawiecki um Investitionen und stellte gar eine "Wirtschaftsverfassung" vor, die Unternehmer vor Schikanen der Bürokratie schützen solle. Doch nicht nur Kaczyński spricht eine andere Sprache - auch mehrere Initiativen der Regierung sind nicht wirtschaftsfreundlich und stellen zudem den von der Vorgängerregierung verfolgten Kurs finanzieller Solidität infrage.

Experten halten die Wirtschaftsprogramme der Regierung für verfassungswidrig

So ist die Finanzierung des Kindergeldes ebenso wenig gesichert wie die des gesenkten Rentenalters. Um die Staatsfinanzen zumindest buchhalterisch zu verbessern, schlug die Regierung vor, in privaten Rentenfonds gesammelte Ersparnisse von umgerechnet etwa 40 Milliarden Euro einem staatlichen Reservefonds zuzuschlagen. Schon die Idee einer solchen faktischen Zwangsverstaatlichung ließ in Polen die Alarmglocken schrillen - und verstärkte Befürchtungen, die Regierung werde ihre Wahlversprechen vor allem auf Kosten der Wirtschaft finanzieren. Steuererhöhungen werden ebenfalls nicht ausgeschlossen.

Auch andere Initiativen wecken das Misstrauen der Unternehmer. So erlaubt ein neues Gesetz gegen Steuerhinterziehung Polens Generalstaatsanwalt und Justizminister Zbigniew Ziobro, der Polizei, der Anti-Korruptionsbehörde CBA und dem Inlandsgeheimdienst ABW, fällige Mehrwertsteuerrückerstattungen an Unternehmen monatelang zu verzögern - selbst, wenn nicht einmal offiziell gegen ein Unternehmen ermittelt wird. Ein solches Gesetz macht in Polen misstrauisch, weil sowohl Ziobro wie die CBA schon während der ersten Regierungszeit der Pis vor knapp einem Jahrzehnt Kritikern zufolge auch gegen politische Gegner vorgingen. Seit Monaten sind Offiziere der Anti-Korruptionsbehörde in allen Regionalverwaltungen postiert; schon gibt es mehrere Fälle von zweifelhaften Vorwürfen der CBA gegen von der Opposition gestellte Bürgermeister, etwa in Danzig oder Łódź.

Die Möglichkeit des Einfrierens von Mehrwertsteuerrückerstattungen durch Staatsanwalt oder Geheimdienst ohne Gerichtsverfahren hält Włodzimierz Nykiel, Rechtsprofessor und Oppositionsparlamentarier, für verfassungswidrig. Auch eine "Wirtschaftsverfassung" sei unnötig, sagte Jeremi Mordasewicz von der Wirtschaftsvereinigung Leviathan der Rzeczpospolita: Schließlich gebe es die polnische Verfassung. Nur: Das heißt nicht, dass sich die Pis-Regierung auch an das Regelwerk - ausgelegt durch das Verfassungsgericht - hält. Schon jetzt veröffentlicht die Regierung etliche gegen sie ausgefallene Urteile der Verfassungsrichter nicht.

Und so wiesen Polens Arbeitgebervereinigung, die Landeswirtschaftsvereinigung und drei andere Wirtschaftsverbände Kaczyńskis Kritik am angeblich politisch motivierten Investitionsrückgang in einer gemeinsamen Erklärung entschieden zurück: "Polens Unternehmer sabotieren weder ihre Firmen noch die Wirtschaft." Stattdessen berücksichtigten sie "Rentabilität, Risikoniveau, die Entwicklungsperspektive und die Stabilität des Rechts". Schädliche Regeln für die Wirtschaft und schlechte Perspektiven für die Entwicklung des Landes hielten Unternehmer von Investitionen ab - nicht die politische Abneigung gegenüber der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit.

© SZ vom 24.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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