Polen:Herr Bodnar kämpft

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Polens Menschenrechtskommissar ist laut Verfassung Hüter der "Freiheiten der Staatsbürger". Inzwischen spüren nicht nur Verfassungsrechtler wie er, dass die Macht der Regierung wächst.

Von Florian Hassel, Konin

Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein hochrangiger polnischer Amtsträger von Konins Bürgern wissen will, wo sie der Schuh drückt. So ist der Saal gut gefüllt, als Menschenrechtskommissar Adam Bodnar nach Konin kommt, eine 77 000 Einwohnern Stadt, 200 Kilometer westlich von Warschau. Bodnar interveniert für Bürger bei Verwaltungen und Ministerien. Er zieht für Frauen vor Gericht, die eingefrorene Eier künstlich befruchten lassen möchten, aber dies in Polen ohne das schriftliche Einverständnis eines ständigen Partners nicht dürfen. Oder er sorgt dafür, dass ein des Marihuana-Schmuggels verdächtigter Fußballfan freigelassen wird, gegen den das Gericht auch nach knapp dreieinhalb Jahren Untersuchungshaft keinen Prozess eröffnet hat. Auch in Konin ist der Bogen der Probleme weit gespannt.

Der Vertreter einer Anglergruppe beklagt, dass an öffentlichen Seen viele Hausbesitzer ihre Zäune bis zum Wasser ziehen, anstatt wie vom Gesetz vorgeschrieben den Zugang zum Ufer zu gestatten. Ein geschiedener Vater erzählt von Problemen beim Besuchsrecht. Gleich mehrere Umweltaktivisten sind aus dem Dorf Nekla gekommen, wo ein Hühnerbaron ihrer Meinung nach illegal begonnen hat, eine Farm für sieben Millionen Hühner zu bauen - und die Verwaltung Auskünfte verweigert.

Adam Bodnar, 39 Jahre alt, mit zurückweichenden braunen Haaren zu blauen Augen hinter der rechteckigen Brille, gibt Auskunft und lässt seine Mitarbeiter protokollieren. "Im ganzen Land werden die Rechte vieler Polen missachtet", sagt Bodnar. "In etablierten Demokratien kümmern sich jeden Tag Tausende Anwälte, Staatsanwälte und Richter darum, dass Grundrechte eingehalten werden. Bei uns ist dies immer noch nicht selbstverständlich." Viele Bürger bräuchten einen Vermittler zwischen sich und dem Staat.

Themen indes, die in Warschau, Brüssel und Washington für Aufregung sorgen, interessieren die Menschen in Konin nicht. Niemand habe die Lähmung des Verfassungsgerichts angesprochen, das Mediengesetz zur stärkeren Kontrolle über das öffentlich-rechtliche Fernsehen und Radio oder das Überwachungsgesetz für mehr Vollmachten für Polizei und Geheimdienst, sagt Bodnar. "Die Welt in Warschau hat für viele Polen nichts mit ihrer eigenen zu tun. Jedenfalls so lange nicht, bis sie merken, dass diese Welt durchaus Einfluss auf ihr Leben hat."

Die Sorgen der Bauern in Polen kreisen nicht nur um Ernteerträge und Schädlingsbekämpfung, manche fragen sich, was ein Verfassungsgericht wert sein sollte. (Foto: Darek Delmanowicz/dpa)

Bodnar ist viel einflussreicher als etwa der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung. Bodnar hütet laut Verfassung "alle Rechte und Freiheiten der Menschen und Staatsbürger". Dem Menschenrechtskommissar unterstehen 310 Mitarbeiter, er kann jedes Gesetz beim Verfassungsgericht anfechten. Bodnar klagt gegen etliche an die Fundamente des Rechtsstaates rührende Gesetze, die die von der Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) gestellte Regierung in den vergangenen Monaten erlassen hat. Bodnar klagt gegen das Überwachungsgesetz; gegen ein Gesetz, das, so Bodnar, als "Probe auf Loyalität gegenüber der neuen Regierung" Arbeitsverträge mit leitenden Beamten oder Staatsangestellten beendet und ihre Stellen neu ausschreibt; gegen das Gesetz zur Entmachtung des Verfassungsgerichts. "Dieses Gesetz und die folgende Lähmung des Verfassungsgerichts waren eine faktische Verfassungsänderung, für die die Regierung kein Mandat hatte." Bodnar klagt auch gegen das Mediengesetz, mit dem die neue Regierung den in der Verfassung verankerten, für die Unabhängigkeit der öffentlichen Medien zuständigen Fernseh- und Rundfunkrat entmachtete und sich Fernsehen und Radio selbst unterstellte. Der Menschenrechtskommissar will auch gegen Gesetze klagen, die bei Gericht die Verwendung illegal erlangter Beweise erlauben. Die dem Generalstaatsanwalt das Recht geben, sich jederzeit in eine laufende Ermittlung einzumischen oder die dafür sorgen, dass der Generalstaatsanwalt selbst bei eigenen Rechtsverstößen straffrei ausgeht - wenn die Verstöße angeblich im öffentlichen Interesse begangen wurden.

Die starke Stellung des Menschenrechtskommissars als Verfassungs-Hüter ist ein Betriebsunfall der polnischen Geschichte. Als das kommunistische Regime in den 80er-Jahren um Legitimität und Überleben kämpfte, schuf es das Verfassungsgericht und Menschenrechtskommissar. "Die Kommunisten sahen beide Institutionen als reine Dekoration an", sagt Bodnar.

Doch sowohl Verfassungsgericht wie Menschenrechtskommissar traten bald unabhängig auf. Die erste Kommissarin Ewa Łętowska wurde später Richterin am Verfassungsgericht. Menschenrechtskommissar Andrzej Zoll war gar Präsident des Verfassungsgerichts. Verfassungsrechtler Bodnar war früher Führungsmitglied der Helsinki-Stiftung für Menschenrechte.

Nach Verfassungsgericht und Rundfunkrat will Pis-Chef Jarosław Kaczyński weitere unabhängige Staatsorgane schwächen. Am 18. März beschloss der Sejm, die untere Parlamentskammer, ein Gesetz, das es ermöglicht, die Immunität des Menschenrechtskommissars leichter aufzuheben. Auch der Vorsitzende des Obersten Rechnungshofes, der Datenschutzbeauftragte und Parlamentarier sollen leichter abgesetzt werden können. Die Zustimmung der oberen Parlamentskammer gilt als Formsache.

Polens Juristen bleiben bisher passiv. "Wir haben allein in Warschau mindestens 20 Großkanzleien mit jeweils mehr als 100 Anwälten. Protestieren sie? Gehen sie auf die Straße? Nichts dergleichen! Fast alle haben Angst, Aufträge zu verlieren", sagte ein führender Jurist der Süddeutschen Zeitung. "Auch die meisten Richter machen den Mund nicht auf, weil sie auf die nächste Beförderung hoffen."

Bei seinem Besuch in Konin ehrt Adam Bodnar posthum eine Bewährungshelferin, die sich um straffällige Jugendliche und Familien in Not gekümmert hat. Zur Ehrung kommen auch der Gerichtspräsident, Richter und Staatsanwälte. Nach der Laudatio, bei Lachsschnitten und Sekt, sind sich viele Richter und Staatsanwälte einig: Es sei ein Albtraum, was die neue Regierung in Warschau veranstaltet. "Geben Sie nicht nach!", stärkt ein Richter Bodnar den Rücken. Öffentlich aber schweigen viele Richter, nicht nur in Konin.

Dabei ist in Polen auch nach Meinung des Europarats der Rechtsstaat suspendiert, solange die Regierung das Verfassungsgericht lähmt und dessen Entscheidungen nicht veröffentlichen will. Etwa die vom 9. März, mit der die Richter ein Gesetz zur Entmachtung des Verfassungsgerichts durch die neue Regierung in allen Punkten für verfassungswidrig erklärten. Als Verfassungsgerichtspräsident Andrzej Rzepliński Anfang April die Rechtsprechung in anderen Rechtsfragen wieder aufnahm, bekam er vor Verhandlungsbeginn einen Brief von Zbigniew Ziobro, Vertrauter von Pis-Chef Kaczyński und Justizminister und Generalstaatsanwalt in Personalunion. Ziobro sprach dem Verfassungsgericht die Legitimität ab, weil es sich dem verfassungswidrigen Gesetz über seine Entmachtung nicht unterwirft - und drohte Polens obersten Richtern mit Konsequenzen.

Erst jetzt stellte der Landesgerichtsrat, betraut mit der Wahrung der Unabhängigkeit der Gerichte, fest, Ziobro habe "keinerlei Kontrollrecht über ergangene Urteile des Verfassungsgerichts" und verletze "die in der Verfassung garantierte Dreiteilung der Macht als ein Fundament des demokratischen Rechtsstaates". Der Rat forderte alle Richter Polens auf, die Autorität des Verfassungsgerichts zu akzeptieren. Auch während des Boykotts durch die Regierung hätten die Urteile der Richter "allgemein verpflichtende Rechtskraft".

Manche Bürger in Polens Regionen merken allmählich, dass die Ausschaltung des Verfassungsgerichts für sie Folgen haben wird. Bei einem Besuch im Städtchen Przemyśl im Südosten Polens befragen Bauern Menschenrechtskommissar Bodnar besorgt nach einem Gesetz, das den Verkauf von Land erschweren soll. Die Bauern fragen, was man dagegen tun könne. "Ihr könnt nur noch auf das Verfassungsgericht hoffen", antwortet Bodnar. "Aber . . . das funktioniert doch nicht!", sagten die Bauern. "Stimmt!", gibt Bodnar zu.

© SZ vom 13.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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