Polen:Eine europäische Affäre

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Feinbild der Rechtspopulisten: die polnische Europaabgeordnete Róża Thun bei einer Kundgebung in Warschau. (Foto: Mateusz Wlodarczyk/imago)

Hasstiraden gegen Kritiker der rechtsnationalen Regierung Polens sind an der Tagesordnung. Nach dem verbalen Ausfall eines Abgeordneten gegen eine Kollegin beschäftigt das Thema nun auch das EU-Parlament.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Es ist ein Wort aus dunkelsten Tagen. Szmalcownik - das war in Zeiten der deutschen Besatzung in Polen einer, der von vor den Nazis versteckten Juden oder ihren Helfern Schmiergeld erpresst hat. Ryszard Czarnecki, einer von 14 Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, hat eben dieses Wort vor einigen Wochen gewählt, um eine polnische Parlamentskollegin zu beschreiben. "Während des Zweiten Weltkriegs", schrieb er in einem Blog, "hatten wir die Szmalcowniks, und heute haben wir Róża von Thun und Hohenstein, die sich leider in eine gewisse Tradition einfügt". Ohne Absicht hat Czarnecki damit die Art und Weise, wie in Polen Kritiker der rechtsgerichteten Regierung herabgewürdigt werden, zu dem gemacht, was sie vielleicht schon länger sein sollte: zu einer europäischen Affäre.

"Unvorstellbar" sei es, dass ein Mann wie Czarnecki weiterhin das Parlament repräsentiere, schrieben die Chefs von vier Fraktionen an Parlamentspräsident Antonio Tajani. Was im EU-Parlament Entsetzen auslöst, ist in Polen längst Alltag: Kritiker der rechtspopulistischen Regierung sind unablässigen Beschimpfungen ausgesetzt, mitunter werden sie bedroht. Besonders häufig zur Zielscheibe hasserfüllter Anwürfe wird dabei die EU-Abgeordnete Róża Thun von der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO). Thun denunziere ihr eigenes Land, begründet Czarnecki, Abgeordneter für die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis), seine Anwürfe. Seinen Zorn ausgelöst hatte eine bei Arte ausgestrahlte Dokumentation des NDR über Thun. "Wir haben Jahrzehnte für die Demokratie in Polen gekämpft und jetzt wollen sie das alles wieder zerstören", beklagt die Abgeordnete darin. Und sie warnt: Polen werde zur Diktatur, wenn das so weitergehe. Das aber werde man nicht zulassen.

Die EU-Kommission sorgt sich um den Rechtsstaat in Polen

Die Sorge um den Rechtsstaat in Polen teilt Thun mit der EU-Kommission. Weil sie die "eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung" der Werte der Union sieht, strengt sie ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags an, das theoretisch zum Entzug des Stimmrechts führen könnte. Polens Führung und ihr ergebene Medien stellen das als anti-polnische Verschwörung dar, wobei Thun als langjährige Verfechterin einer europäischen Integration Polens und Frau eines deutschen Adligen besonders gut ins Feindbild passt.

Das Magazin Gazeta Polska zeigt Thun in seiner neuesten Ausgabe zusammen mit EU-Ratspräsident Donald Tusk und dem liberalen EU-Fraktionschef Guy Verhofstadt auf dem Titel. Dazu die deutsche Schlagzeile: "Raus!" Das hat Methode, wie die Abgeordnete erklärt. "Geschürt wird der Hass gegen Deutschland, um unsere Beziehungen zur EU zu schwächen", sagt sie. Genüsslich wird, etwa im polnischen Fernsehen, ihr voller Name zelebriert, um sie zu diskreditieren: Róża Maria Barbara Gräfin von Thun und Hohenstein. Zusammen mit den Bildern von fünf anderen EU-Abgeordneten der PO hängten Nationalisten auch ihres vor einiger Zeit in Kattowitz symbolisch an den Galgen.

"Vielleicht bin ich zu optimistisch, aber ich habe keine Angst, dass mir etwas geschieht", sagt die 63-Jährige. Allerdings habe sie "Angst um Polen. Ich habe Angst vor dieser organisierten Aggression". Die Arte-Dokumentation über Thun schildert, wie sehr sich das Land seit dem Wahlsieg der Pis 2015 verändert hat. Zu sehen sind Schüler, die unter Druck gesetzt werden, weil sie das Gespräch mit oppositionellen Abgeordneten suchen. Als "Fortsetzung des deutschen Propagandakinos" in der Tradition von Leni Riefenstahl stuft Czarnecki die NDR-Produktion ein. Deren Macherin Annette Dittert wird im Internet massiv angefeindet.

Zumindest im EU-Parlament soll Ryszard Czarnecki sich für seinen Hassausbruch verantworten müssen. In ihrem Brief an Parlamentspräsident Tajani forderten die Fraktionschefs von Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen die Absetzung des Vizepräsidenten. Artikel 21 der Geschäftsordnung des Parlaments sieht diese Möglichkeit für den Fall einer "schweren Verfehlung" vor, angewandt worden allerdings ist sie noch nie. Die Hürde ist hoch: Zunächst müssen die Fraktionschefs, die am kommenden Donnerstag darüber beraten, mit Dreifünftelmehrheit den Fall vor das Plenum bringen, wo dann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen die Abberufung verfügt werden kann.

Auf den Rückhalt der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), seiner eigenen Fraktion, kann sich Czarnecki dabei wohl verlassen. Die EKR ist die drittgrößte Fraktion im Europäischen Parlament und wird hauptsächlichen von den britischen Tories und der polnischen Pis getragen. Zu ihr gehören aber auch fünf Abgeordnete der Liberal-Konservativen Reformer (LKR), die einst für die AfD ins EU-Parlament gewählt worden waren. "Eine völlig überzogene, überdrehte Reaktion" wirft der stellvertretende EKR-Vorsitzende Hans-Olaf Henkel den anderen Fraktionen im Fall Czarnecki vor. Es handele sich um eine "innerpolnische Streiterei", denn Czarneckis Worte seien nicht im Plenum gefallen.

Czarnecki selbst sieht sich ganz zu Unrecht verfolgt. In einem Brief an Parlamentspräsident Tajani beklagte er sich darüber, dass seine Argumente "falsch interpretiert" würden. Als Historiker habe er lediglich "negative Phänomene" in der polnischen Geschichte beschrieben sowie die Abgeordnete Thun zwar kritisiert, dabei aber nicht das Wort Sczmalcownik verwendet. "Es gibt Leute", sagt Róża Thun dazu, "die nicht mehr zwischen Lüge und Wahrheit unterscheiden. So war das auch im Kommunismus."

© SZ vom 26.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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