Polen:Blockade am Parlament

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Tausende protestieren in Polen gegen die Einschränkung von Freiheitsrechten. Die Regierungspartei will sogar das Demonstrationsrecht einschränken.

Von Florian Hassel, Warschau

Es sind Bilder, wie sie Polen noch nicht gesehen hat: in einem dunklen, ungeheizten Parlamentssaal übernachtende Abgeordnete der Opposition. Polizisten, die eine Blockade aufgebrachter Demonstranten mit Gewalt aufbrechen, damit die Regierungschefin und der Chef der Regierungspartei mitten in der Nacht das Parlament verlassen können. Und seitdem immer neue Demonstrationen, Gegendemonstrationen, Krisentreffen.

Die Krise mit offenem Ende begann vordergründig am vergangenen Freitag: Da wollte das Parlament bei seiner letzten Sitzung vor der Weihnachtspause den Haushalt 2017 verabschieden. Doch der Opposition brannte auch ein anderes Regelwerk auf den Nägeln: eine umfassende Änderung der Arbeitsweise von Journalisten im Parlament.

Bisher können akkreditierte Journalisten umfassend aus dem Sejm berichten: mit Aufnahmen nicht nur aus den Plenarsaal, sondern auch aus den Parlamentsausschüssen. So hielten Journalisten in einem Jahr Regierung unter der nationalpopulistischen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis) denkwürdige Momente fest: Wie der Abgeordnete Kornel Morawiecki den "Willen des Volkes" über Entscheidungen des Verfassungsgericht stellte; wie ein Pis-Abgeordneter der Opposition den ausgestreckten Mittelfinger zeigte oder wie ein von der Regierungspartei gestellter Ausschussvorsitzender gegen sie ausfallende Abstimmungen schlicht für ungültig erklärte und neu abstimmen ließ.

Außerdem können die Journalisten Politiker auf den Fluren des Sejm abfangen und ihnen unbequeme Fragen stellen - eine Praxis, die vor allem Pis-Parteichef Jaroslaw Kaczynski nicht schmeckt. Zum 1. Januar soll alles anders werden: Journalisten sollen im Plenarsaal keine eigene Bilder oder Tonaufnahmen mehr machen dürfen. Der Zugang zu den Parlamentsfluren soll ihnen verboten werden: stattdessen sollen sie in einem abgetrennten Gebäude arbeiten.

Noch haben sie das Recht: Das ganze Wochenende über sind in Warschau Tausende auf die Straße und vors Parlament gegangen, um gegen die geplanten Beschnitte der Pressefreiheit zu demonstrieren. (Foto: Pawel Supernak/dpa)

Als der Abgeordnete Michal Szczerba von der oppositionellen Bürgerplattform (PO) während der Haushaltsdebatte gegen die möglicherweise verfassungswidrigen Medieneinschränkungen mit einem Tableau mit der Aufschrift "Freie Medien im Sejm" protestierte, schloss ihn der von der Pis gestellte Parlamentspräsident von der Sitzung aus. Daraufhin besetzten Dutzende Abgeordnete der Opposition die Rednertribüne. Die Reaktion der Regierung: Sie ließ ihre Abgeordneten in einem Nebensaal den Haushalt 2017 beschließen.

Die Abgeordneten der Regierung stimmen einfach ohne die Opposition über den Haushalt ab

Die Opposition setzte ihre Besetzung des Plenarsaales fort und rief zu Protesten in ganz Polen auf. In Warschau und anderen Städten protestierten am Samstag und Sonntag Tausende gegen die Regierung. Diese ließ am Sonntag eigens Anhänger aus ganz Polen per Bus zu einer Gegenkundgebung nach Warschau bringen. Polens ebenfalls von der Pis gestellter Präsident Andrzej Duda rief Führer der Oppositionsparteien zu - freilich ergebnislosen - Krisengesprächen. Die Opposition fordert eine Wiederholung der Abstimmung über den Haushalt, die Rücknahme der Medienregeln - neue Proteste sollen folgen.

Die Änderungen der Arbeitsregeln für Journalisten im Parlament hätten kaum zu solchem Protest geführt, hätte die Pis den politischen und gesellschaftlichen Spielraum und den der Justiz in den vergangenen Wochen nicht weiter eingeschränkt. Das Verfassungsgericht ist seit einem Jahr weitgehend gelähmt: durch mehrere verfassungswidrige Gesetze und die Weigerung des polnischen Präsidenten, drei noch zu Zeiten der Vorgängerregierung rechtmäßig gewählte Verfassungsrichter zu vereidigen. Nun erließ die Regierung ein weiteres, mutmaßlich ebenfalls verfassungswidriges Gesetz: Mit dem will sie den an diesem Montag in Rente gehenden Verfassungsgerichtspräsidenten Andrzej Rzeplinski durch eine Pis-Parteigängerin ersetzen.

Peace-Zeichen im Sejm: Eigentlich will die Regierungspartei PiS den Haushalt verabschieden. Stattdessen besetzen Oppositionspolitiker das Rednerpult im Sejm, entrollen ein Spruchband, recken Zeige- und Mittelfinger in die Höhe. (Foto: Czarek Sokolowski/AP)

Außerdem nahm das Parlament ein Gesetz an, das Demonstrationen verbietet, wenn an gleicher Stelle bereits eine Demonstration von der Regierung oder von der Kirche angemeldet wurde. Vorrang sollen zudem "zyklische Kundgebungen" bekommen. Die Pis erinnert etwa jeden Monat mit einer Kundgebung an den Flugzeugabsturz, bei dem im April 2010 in Smolensk der damalige Präsident Lech Kaczynski und Dutzende weitere Polen starben. Bei diesen Demonstrationen pflegt die Pis den Mythos eines angeblichen Mordanschlages, der von Ermittlern längst widerlegt wurde. Gegenkundgebungen gegen derlei Veranstaltungen, wie sie heute häufig sind, wären künftig verboten.

Obwohl 157 Bürgergruppen gegen den Gesetzentwurf protestierten, Polens Menschenrechtskommissar den Entwurf als "den Standards eines demokratischen Staates widersprechend" bezeichnete und der Rechtsdienst des Obersten Gerichtes den Entwurf als Anschlag auf die verfassungsmäßige Ordnung bezeichnete, wurde der Entwurf angenommen. Schon ist auch ein Gesetz in Arbeit, das Polens Regierungschef ein "Nationales Zentrum der Entwicklung der Zivilgesellschaft" unterstellen soll. Es soll über Zuschüsse an Bürgergruppen entscheiden.

© SZ vom 19.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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