Pflege:Null Vertrauen

Lesezeit: 2 min

Eine Mehrheit glaubt den offiziellen Bewertungen von Pflegeheimen nicht und kritisiert Mängel in der Pflege. Das Personal solle sich mehr Zeit für die Senioren nehmen.

Von Kim Björn Becker, München

Bei der Versorgung von Pflegebedürftigen in Heimen und durch ambulante Hilfsdienste sehen die Deutschen erheblichen Verbesserungsbedarf. Das geht aus einer Studie des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) hervor, die an diesem Montag in Berlin vorgestellt wird. Sie liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Insgesamt wurden 2000 Personen befragt. Mehr als 80 Prozent von ihnen sind der Ansicht, dass Pfleger sich "mehr Zeit für persönliche Zuwendung und Kommunikation" mit Senioren nehmen sollten. Von jenen, die bereits selbst Erfahrung mit Pflege gemacht haben, sagen dies sogar mehr als 90 Prozent. Ebenfalls sehen fast 80 Prozent von ihnen einen großen Verbesserungsbedarf beim Erhalt von Selbständigkeit und Mobilität. Genauso viele zeigen sich unzufrieden damit, wie Pfleger mit Ruhelosigkeit, Angst und Verwirrtheit von Demenzkranken umgehen. Und mehr als jeder Zweite wünscht sich, dass Pflegebedürftige besser vor Gewalt und Aggression geschützt werden.

Zudem gaben 70 Prozent der Befragten an, dass die Pflegequalität in Deutschland von Einrichtung zu Einrichtung stark schwanke. Jeder Fünfte ist der Meinung, dass professionelle Pflegeanbieter "häufig erhebliche Mängel" aufwiesen. Als mögliche Ursache wurde zumeist die Arbeitsüberlastung durch Personalmangel genannt.

Um die Qualität einer Pflegeeinrichtung zu beurteilen, verlassen sich die Deutschen darüber hinaus lieber auf persönliche Erfahrungen oder die Berichte von Bekannten als auf offizielle Bewertungen. Demnach gaben fast alle Befragten an, dass es ihnen wichtig sei, bei Bedarf verlässliche Informationen über die Pflegequalität eines ambulanten Hilfsdienstes oder eines Heims zu erhalten. Allerdings vertrauen dabei nur etwa fünf Prozent der Bürger den per Gesetz erforderlichen Pflegenoten. Eine Mehrheit der Menschen mit Pflegeerfahrung hält die offizielle Beurteilung sogar ausdrücklich für "ungeeignet".

"Transparenzversprechen dürfen keine Mogelpackung sein", sagt Instituts-Chef Ralf Suhr

Die Noten stehen seit Jahren in der Kritik, weil selbst Heime mit nachweislich teils desolaten Zuständen in der Vergangenheit die Bestnote erhalten hatten. Auch nach dem Willen der Bundesregierung soll der sogenannte Pflege-TÜV reformiert werden. Auf welche Weise die Noten verlässlich Aufschluss über die Qualität der Betreuung geben können, ist noch offen.

Die Deutschen verlassen sich daher lieber auf andere Informationsquellen, um eine Entscheidung für oder gegen ein Heim beziehungsweise einen Pflegedienst zu treffen. Die meisten würden sich auf die Einschätzungen von Bekannten verlassen, die bereits Erfahrungen mit einem Pflegeanbieter gemacht haben. Dieses Urteil wäre vielen sogar noch wichtiger als der eigene persönliche Eindruck. Unter den Befragten, die bereits Erfahrungen mit dem Pflegesektor gemacht haben, kehrt sich das Verhältnis um. Sie gewichten ihre eigenen Eindrücke dann höher als die Meinungen Dritter. Einig sind sich beide Gruppen nur in der Ablehnung offizieller Bewertungen.

Die Ergebnisse zeigten, dass man die Bürger "bei der Darstellung von Pflegequalität mehr als bisher ernst nehmen" müsse, sagt ZQP-Chef Ralf Suhr: "Transparenzversprechen dürfen keine Mogelpackung sein." Die gegenwärtige Debatte über eine Reform der Pflegebenotung sei eine Chance, die "Vertrauenskrise" zu überwinden. Das Zentrum für Qualität in der Pflege ist eine gemeinnützige Stiftung, die vom Verband der privaten Krankenkassen gegründet wurde.

© SZ vom 18.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: