Pflege:Lieber Pflege als Reha?

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Die CDU-Gesundheitsexperten äußern einen Verdacht: Auf Reha werde häufig aus finanziellen Gründen verzichtet.

Von Guido Bohsem, Berlin

Wenn es um die Pflege geht, erscheint die Reha vielen als Rettung. Nicht nur für die Patienten, auch für das System. Würden die Menschen nach einem Schlaganfall oder einem Sturz nur konsequent aufgebaut und trainiert, könnten sie womöglich weiterhin ein eigenständiges Leben führen. Sie wären auf die Leistungen der Pflegeversicherung gar nicht angewiesen. Ihr Leben wäre besser und die Kosten für die Pflegeversicherung niedriger. Insbesondere letzteres ist für die Politik angesichts der demografischen Entwicklung, in der es immer mehr ältere Menschen gibt, eine reizvolle Vorstellung. Denn die Zahl der Pflegebedürftigen wird in den kommenden 15 Jahren um fast eine Million auf 3,4 Millionen ansteigen.

Der zuständige Fachausschuss der CDU hat deshalb beschlossen, die Reha zu stärken. "Reha vor Pflege", lautet das Motto. Die große Frage ist, warum das nicht schon längst passiert. Die CDU-Gesundheitsexperten, allen voran der inzwischen zum Finanzstaatssekretär aufgestiegene Jens Spahn, äußern einen schweren Verdacht: Auf Reha werde aus finanziellen Gründen verzichtet. Konkret werfen sie den Krankenkassen vor, bei den Rehabilitationen zu sparen und stattdessen die Betroffenen zum Pflegefall werden zu lassen. Denn für die dann fällige Behandlungspflege müssen die Pflegekassen bezahlen - und eben nicht die Krankenkassen.

Das Problem ist so alt wie die Pflegeversicherung selbst. Bei der Einführung der Pflegeversicherung Mitte der Neunziger wurde darum gerungen, die damit verbundenen Kosten für die notorisch klammen Krankenkassen möglichst niedrig zu halten. Aus diesem Grund entschied man: Die Krankenkasse zahlt die Reha, die Pflegekasse die Behandlungspflege - obwohl es sich dabei eigentlich um eine vom Arzt verordnete medizinische Leistung handelt.

Dabei handelte es sich nach Meinung der CDU-Gesundheitspolitiker um einen folgenschweren Konstruktionsfehler. Zum Beweis führen sie an, dass der für die Einstufung zuständige Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) 2014 insgesamt 1,3 Millionen Patienten begutachtete, aber nur in 0,5 Prozent der Fälle für eine Reha plädierte. Sie wollen deshalb die Finanzierung umdrehen. Künftig sollen die Krankenkassen für die Behandlungspflege zahlen, und die Pflegekassen für die Reha. So sollen in beiden Systemen die Anreize für mehr Reha geschaffen werden.

Das Prinzip "Reha vor Pflege" wird von den meisten Akteuren des Systems geteilt. Jedoch zweifeln viele daran, dass es mit dem Vorschlag der CDU erreicht werden kann. "Es ist grundsätzlich richtig, die Reha für Pflegebedürftigen zu stärken", sagt zum Beispiel Stefan Gronemeyer, leitender Arzt des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbands der Krankenkassen (MDS). Doch gehe die CDU bei ihren Vorschlägen von falschen Prämissen aus. "So wird sehr stark unterschätzt, wie viel Reha schon jetzt geleistet wird." So habe der MDS zuletzt bei seinen Prüfungen stets abgefragt, ob es vor dem Antrag auf Pflegebedürftigkeit schon eine Reha gegeben habe.

Dies sei 2015 bei mehr als 200 000 von 1,4 Millionen der Fall gewesen. Hier habe sich dann herausgestellt, dass die Reha eben nicht gereicht habe, um eine Pflegebedürftigkeit zu verhindern. Vergessen werde auch, dass viele Reha-Maßnahmen gleich und noch im Krankenhaus als Anschluss an die Behandlung stattfänden. "Das macht ebenfalls eine beträchtliche Anzahl aus, nämlich 248 000 Fälle."

Auch der Spitzenverband der Krankenkassen weist die Kritik aus der CDU entschieden zurück und belegt sein Eintreten für "Reha vor Pflege" mit eigenen Fakten. In 750000 Fällen hätten die Krankenkassen 2015 Reha-Maßnahmen erbracht und dafür 2,2 Milliarden Euro ausgegeben. Jede davon habe das Ziel verfolgt, Pflegebedürftigkeit abzuwenden, sagt eine Sprecherin. Mehr als 80 Prozent der Reha-Patienten seien älter als 65 Jahre. Zudem würden Anfang April die Richtlinien geändert, um eine Reha verschrieben zu bekommen. Jeder Arzt und damit auch der Hausarzt sei dann berechtigt, eine solche Maßnahme zu verordnen.

Zweifel am Gelingen des CDU-Konzepts gibt es auch in der Opposition. Zwar gebe es zahlreiche Studien, die zeigten, dass durch eine qualifizierte Reha die Pflegebedürftigkeit vermieden werden könne, sagt die pflegepolitische Sprecherin der Grünen, Elisabeth Scharfenberg. "Die Vorschläge der Union werden das Problem aber leider nicht lösen können." So gibt es laut Scharfenberg derzeit in Deutschland gar keine flächendeckenden Angebote für gute geriatrische Reha-Maßnahmen. Viele Häuser seien in den vergangenen Jahren wegen chronischer Unterfinanzierung geschlossen oder umgewandelt worden. Zudem müsse zwischen Medizin, Pflege und Therapie unbedingt mehr berufsübergreifend gearbeitet werden und eine gute Überleitung in die Nachsorge greifen. "Wenn das nicht geschieht, nützt jede bewilligte Reha nichts."

© SZ vom 21.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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