Parlamentswahl in Tschechien:Erdrutsch mit Ansage

Lesezeit: 2 min

Tschechien will den Wandel: Die etablierten Parteien verlieren. Davon könnte den ersten Prognosen zufolge vor allem der konservativ-liberale Karel Schwarzenberg profitieren.

Klaus Brill, Prag

Bei der Parlamentswahl in Tschechien zeichnet sich nach ersten Schätzungen ein politischer Erdrutsch ab. Der Fernsehsender CT 24 veröffentlichte am Mittag kurz nach Schließung der Wahllokale eine erste Wahlnachfrage, wonach die neue konservativ-liberale Partei des früheren Außenministers Karl Fürst zu Schwarzenberg aus dem Stand auf einen Stimmenanteil von etwa 15,1 Prozent kommen könnte. Hingegen erlitten die die beiden bisher führenden Parteien , die Sozialdemokraten und die konservativ-liberalen Bürgerdemokraten, starke Verluste. Sie sanken auf 23,3, beziehungsweise 19,1 Prozent. Dies könnte die Tür für eine neue Koalition der rechten Mitte öffnen.

Die Tschechen wollen den Wandel. Ersten Hochrechnungen zufolge verloren die etablierten Parteien an Stimmen. (Foto: dpa)

Sollte sich der Exit-Poll in den nun folgenden Hochrechnungen bestätigen, so würde dies für die bisher in Meinungsumfragen stets als klarer Wahlsieger gehandelte Sozialdemokratische Partei (CSSD) eine schmerzliche Niederlage bedeuten. Bei der vorigen Wahl des Abgeordnetenhauses im Juni 2006 hatte sie noch 32,3 Prozent der Stimmen erhalten, über acht Prozent mehr als jetzt erwartet. Noch stärker ist der Einbruch der Bürgerdemokraten (ODS), die vor vier Jahren mit 35,4 Prozent die stärkste Partei waren und nun also über 15 Prozentpunkte einbüßten.

Die Verluste der ODS gehen vermutlich größtenteils auf das Konto der erst im Jahr 2009 gegründeten Partei TOP 09 des Fürsten Schwarzenberg, die sich im Wahlkampf vor allem gegen Korruption und für drastische Einschnitte zur Sanierung des maroden Staatsetats eingesetzt hatte. Der Parteiname ist eine Abkürzung der tschechischen Begriffe Tradice, Odpoved-nost, Prosperita (Tradition, Verantwortung, Wohlstand).

Populistische Züge

Als zweiter Neuling gelangte die ebenfalls erst kürzlich stärker hervorgetretene Partei Veci Vereine (VV - Öffentliche Angelegenheiten) des populären Fernseh-Moderators Radek John auf Anhieb ins Parlament. Dem Exit-Poll zufolge kann die Organisation, die populistische Züge zeigt und deshalb im Rechts-Links-Spektrum nicht recht einzuordnen ist, mit etwa 10,1 Prozent der Stimmen rechnen. Nach Aussagen ihres Vorsitzenden John tendiert sie eher zu einer Zusammenarbeit mit den beiden konservativ-liberalen Parteien ODS und TOP 09, die damit auf eine Mehrheit kommen könnten.

Auf rund 12,2 Prozent wird in der Wahlnachfrage die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSCM) geschätzt, die bei der letzten Parlamentswahl 2006 noch 12,8 Prozent der Stimmen erhalten hatte und vorwiegend alte Menschen anspricht. Die Kommunisten, die sich nach 1989 noch kaum reformiert hatten, sind die einzige Partei, die bisher klar eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten anstrebt.

Kampf mit der Fünf-Prozent-Hürde

Ein weiterer möglicher Partner der Sozialdemokraten, die Christdemokratische Partei (KDU/CSL), kämpft derzeit noch mit der Fünf-Prozent-Hürde. Vor vier Jahren hatte sie 7,2 Prozent der Stimmen erhalten, sich im vorigen Jahr aber nach Skandalen und internen Streitigkeiten gespalten. Die Grünen, die ebenfalls mit inneren Schwierigkeiten kämpften, kamen dem Exit-Poll zufolge nicht mehr ins Parlament. Vor vier Jahren hatten sie mit 6,3 Prozent einen historischen Durchbruch erzielt und wurden später sogar an der Regierung beteiligt.

Die Wahlbeteiligung lag nach ersten Schätzungen bei rund 62 Prozent. Wahlberechtigt waren rund 8,4 der über zehn Millionen Tschechen. Zu bestimmen waren die 200 Mitglieder des Abgeordnetenhauses, der ersten Kammer des Parlaments. Der Senat als zweite Kammer wird alle zwei Jahre zu je einem Drittel im Herbst gewählt.

Sonntag im Wochenendhäuschen

Zu den Urnen geht man in Tschechien jeweils am Freitag von 14 bis 22 Uhr und am Samstag von acht bis 14 Uhr. Samstags nachmittags und sonntags pflegen die meisten Tschechen in ihr Wochenendhäuschen im Grünen zu fahren.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: