Parlament:Preis des Machterhalts

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Für eine Mehrheit in der Volksvertretung ist Erdoğans AKP auf die ultrarechte MHP angewiesen. Das dürften gerade die Kurden spüren.

Von Christiane Schlötzer

Devlet Bahçeli führt die nationalistische MHP seit 21 Jahren auf einem stramm rechten Kurs. Der 70-Jährige steht für eine harte Linie gegenüber den Kurden. (Foto: Stoyan Nenov/Reuters)

Alaattin Çakıcı ist ein Mann der Unterwelt. Er ließ seine Frau von einem Killer töten, der Sohn musste zusehen. Und das war nicht der einzige Mordauftrag. Es musste auch ein Unternehmer sterben, der Ex-Präsident eines Fußballklubs und ein prominenter Journalist. Heute ist Çakıcı 65 Jahre alt und sitzt in einem türkischen Gefängnis, nachdem er auf der Flucht durch halb Europa gereist war. Für den türkischen Geheimdienst hat er ebenfalls gearbeitet. Devlet Bahçeli, Chef der ultrarechten Partei MHP und jetzt Partner von Recep Tayyip Erdoğans AKP, nennt Çakıcı einen Mann, der bekannt sei für seine "Liebe zur Heimat", der "Ideale" habe, "mutig und furchtlos" sei.

Am 23. Mai, mitten im Wahlkampf, besuchte Bahçeli in einem Hospital Alaattin Çakıcı. Dieser war aus dem Gefängnis zu einer Behandlung dorthin gebracht worden. Die MHP teilte ein Foto der Begegnung der beiden ins Gespräch vertieften Männer auf Twitter. Bahçeli verlangte eine Amnestie für Çakıcı und andere Mafiagrößen, für Kürşat Yılmaz zum Beispiel. Auch er ist verurteilt wegen eines Mordauftrags: an einem Bürgermeister. In den Gefängnissen, so Bahçeli, säßen derzeit 235 000 Menschen, darunter viele vom "Schicksal" Verurteilte. Wen er mit seinem Amnestie-Vorschlag nicht meinte, machte Bahçeli auch klar: den in Untersuchungshaft sitzenden Kurden-Politiker Selahattin Demirtaș.

Dass die Partei von Demirtaş, die HDP, bei der Parlamentswahl nun die MHP überholt hat, dürfte Bahçeli besonders ärgern. Die HDP nahm mit 11,63 Prozent klar die Zehn-Prozent-Hürde, die MHP ist erst viertstärkste Partei mit 11,13 Prozent. Das ist nur ein halbes Prozent Unterschied, doch für die linke Kurdenpartei ist es ein besonderer Triumph. Bahçeli hat mehrmals die Wiedereinführung der Todesstrafe für "Vaterlandsverräter" gefordert. Keine Frage, wen er dazu zählt.

In der Wahlnacht sagte Bahçeli, seine MHP sei jetzt zur "Schlüsselpartei" geworden. Recep Tayyip Erdoğans AKP kann nicht mehr allein regieren, sie kam nur noch auf 42,5 Prozent. Das reicht nicht für die absolute Mehrheit der Sitze. Bahçeli wird kein einfacher Partner sein. Er wird zum Beispiel zu verhindern versuchen, dass Erdoğan noch einmal auf die Kurden zugeht, wie er das in der Vergangenheit getan hatte. Der Geheimdienst führte 2012 sogar Gespräche mit der militanten kurdischen PKK, der Friedensprozess kam damals ein ganzes Stück voran. Bahçeli ist ein ultranationalistischer Hardliner, er wird seinen Preis für Erdoğans Machterhalt verlangen.

Der Mann ist ein Taktiker, der selbst Verbindungen in die Schattenwelt des sogenannten tiefen Staates hat. Die MHP ist traditionell aber auch in der Polizei stark vertreten. Schon als Student der Wirtschaftswissenschaften in Ankara fand Bahçeli einst zu den "Grauen Wölfen", den nationalistischen und rechtsextremen "Idealistenvereinen". 1987 wurde er Mitglied der ultrarechten Partei, die heute MHP heißt (Partei der nationalistischen Bewegung). 1997 übernahm er den Vorsitz, nach dem Tod des Parteigründers Alparslan Türkeș, der als Offizier am Militärputsch von 1960 beteiligt war. Von 1999 bis 2002 war Bahçeli in mehreren Koalitionsregierungen schon stellvertretender Regierungschef. Er ist jetzt 70 Jahre alt.

Vor zwei Jahren versuchte Meral Akşener ihm den Parteivorsitz abzunehmen. Akșener, die nun als Präsidentschaftskandidatin für ihre eigene Iyi-Partei antrat, war in der MHP beliebt. Die 61-Jährige ist auch stramm rechts, aber weniger rigoros als der alte Parteichef. Dass die Revolution in der MHP scheiterte, hat Bahçeli der türkischen Justiz zu verdanken. Sie verhinderte mit seltsamen Entscheidungen, dass der entscheidende Parteikongress stattfinden konnte. Bahçeli bedankte sich dafür bei dem Mann, der schon damals ahnte, dass er einen Partner brauchen wird: Erdoğan. Ihn unterstützte Bahçeli fortan: beim Referendum 2017, mit dem Erdoğan seine Verfassungsänderung durchsetzte, die ihm nun so viel Macht gibt. Und nun bei der Präsidentenwahl: die MHP stellte keinen eigenen Kandidaten auf und empfahl die Wahl Erdoğans. Und auch bei der Parlamentswahl ging sie mit der AKP ein offizielles Bündnis ein, zum ersten Mal in der türkischen Geschichte. Übrigens wurde der Mafioso Çakıcı auch wegen Beleidigung Erdoğans verurteilt. Der hat die von Bahçeli geforderte Amnestie abgelehnt.

© SZ vom 26.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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