Papst Benedikt und die Pius-Bruderschaft:"Der Schwarze Peter wird weitergereicht"

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Für den Moraltheologen Jean-Pierre Wils sind die Aussagen des Holocaust-Leugners Williamson nur die Spitze eines Eisbergs. Über die Zweifel am Vatikan.

B. Vorsamer

Jean-Pierre Wils ist Professor für Moraltheologie an der niederländischen Universität Nijmegen. Aus Protest gegen den antimodernen, antipluralistischen und totalitären Geist der Kirche erklärte er nun öffentlich seinen Rücktritt.

Papst Benedikt XVI. (Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Seitdem Papst Benedikt XVI. vier reaktionäre Bischöfe, darunter den Holocaust-Leugner Richard Williamson, wieder in die Kirche aufgenommen hat, tobt weltweit ein Sturm der Entrüstung. Erst nach Tagen reagierte der Vatikan - zu spät?

Jean-Pierre Wils: Zu spät und zu schwach. Katholiken weltweit sind unzufrieden mit der Reaktion des Vatikan. Auch weil erst nach Tagen und unter enormem internationalen Druck überhaupt etwas passierte. Vor allem die Forderung von Angela Merkel nach einer Entschuldigung des Papstes trug dazu bei.

sueddeutsche.de: Dafür wurde die Bundeskanzlerin aus Kirchenkreisen heftig angegriffen. Hatte sie das Recht, sich einzumischen?

Wils: Jeder von uns hat das Recht, sich einzumischen!

sueddeutsche.de: Der Vatikan hat inzwischen öffentlich von Williamson gefordert, seine Äußerungen zurückzunehmen.

Wils: Ja, der Schwarze Peter wird an Williamson weitergereicht. Das ist bei weitem nicht genug.

sueddeutsche.de: Was wäre Ihre Forderung?

Wils: Zunächst mal muss sich Papst Benedikt XVI. persönlich in die Debatte einschalten. Bisher hat sich nur "der Vatikan" geäußert. Das Oberhaupt der Katholiken hat es nicht für nötig befunden, auch nur eine halbe Silbe dazu zu sagen - nicht einmal bei seiner gestrigen Generalaudienz.

sueddeutsche.de: Der Vatikan hält den Papst für unschuldig und verharmlost den Vorfall als "Managementfehler" oder "PR-Panne". Kann das sein?

Wils: Das halte ich für völligen Unsinn. Jeder Theologe, der sich um eine Anstellung - wo auch immer - bewirbt, wird durchleuchtet. Alle seine Schriften werden überprüft, alle Äußerungen werden analysiert, kontrolliert, zu Not wird er diszipliniert. Da gibt es normalerweise eine gerade lückenlose Kontrolle.

Dass der Vatikan nun im Fall Williamson von nichts gewusst haben will, kann ich mir daher überhaupt nicht vorstellen. Er hat seine Thesen im Internet veröffentlicht, seine Ansichten waren jedem bekannt. Und über deren Unsäglichkeit brauchen wir gar nicht mehr zu sprechen. Es steht außer Frage, dass die Leugnung des Holocaust eine Ungeheuerlichkeit ist. Aber diese entsetzlichen Thesen sind nur die Spitze des Eisbergs.

sueddeutsche.de: Was könnte noch schlimmer sein als eine Leugnung des Holocaust?

Wils: Das kommt glücklicherweise mehr und mehr an die Öffentlichkeit: Alle Medien berichten derzeit, was für eine steinzeitliche Sekte die Pius-Bruderschaft ist. Sie steht auf Kriegsfuß mit dem Rechtsstaat, der Demokratie, den Menschenrechten - also, mit allem, was einem liberalen Staat zugrunde liegt.

Die Piusbrüder wollen keine Religionsfreiheit, sie wollen den Katholizismus zur Staatsreligion machen. Sie sind gegen Meinungsfreiheit, sie lehnen Gewissensfreiheit ab. Diese Bruderschaft ist auf eine pathologische Weise antimodernistisch - und antisemitisch.

sueddeutsche.de: Sagt das etwas aus über Papst Benedikt XVI.?

Wils: Niemand hat behauptet, der Papst sei ein Antisemit, das wäre auch völlig falsch. Benedikt XVI. ist kein Feind der Juden. Aber er kennt die Pius-Bruderschaft sehr genau und er sympathisiert seit Jahren mit ihr.

Weil ihm sehr daran gelegen ist, die Einheit der Kirche wieder herzustellen, wertet er eine Bewegung auf, zu der der Antisemitismus bekanntermaßen dazugehört.

sueddeutsche.de: Der Zentralrat der Juden hat bereits gefordert, die Pius-Bruderschaft aus der Kirche auszuschließen.

Wils: Das wird nicht passieren, im Gegenteil: der Vatikan bewegt sich zur Zeit auf diese Gruppierung zu. Ich kann mir auch überhaupt nicht vorstellen, dass der Papst die Aufhebung der Exkommunikation wieder rückgängig macht - aber das wäre der einzig richtige Schritt.

sueddeutsche.de: Der Leiter des Radio Vatikan, Eberhard von Gemmingen, kritisiert den Vatikan ebenfalls ungewohnt heftig und brachte sogar einen Rücktritt des Papstes ins Spiel. Können Sie sich das vorstellen?

Wils: Das wird auf gar keinen Fall passieren, das wäre das Ende der katholischen Kirche.

sueddeutsche.de: Sie selbst sind nun aus der Kirche ausgetreten - aus Protest gegen Williamsons Thesen?

Theologie-Professor Jean-Pierre Wils. (Foto: Foto: Universität Nijmegen)

Wils: Das war der Anlass, wenn auch natürlich nicht der einzige Grund. Mich stört seit Jahren so einiges ganz entsetzlich an der Kirche. Es sind auch nicht nur die antisemitischen Äußerungen, die mich nun zum Austritt bewogen haben. Nein, was mich stört, ist, dass der Vatikan mit der Piusbruderschaft eine radikal-extremistische Sekte umarmt. Diese Leute sind wie Neonazis und Rechtsextremisten - und denen reicht der Staat auch nicht die Hand.

sueddeutsche.de: Ist es nicht ungewöhnlich, als Theologe keiner Kirche mehr anzugehören?

Wils: Natürlich ist es das. Doch ich habe mir selber die Frage gestellt: Kann ich nach wie vor Repräsentant dieser Organisation sein? Und das kann ich nicht mehr.

sueddeutsche.de: Welche Folgen hat das für Ihre Lehrtätigkeit?

Wils: Ich habe an der Universität Nijmegen einen Lehrauftrag für Kulturtheorie der Moral und einen für theologische Ethik. Letzteren habe ich nun niedergelegt. Ich werde aber weiter als Professor tätig sein.

sueddeutsche.de: Sie sind nicht der einzige, der im Zuge dieser Affäre der Kirche den Rücken kehrt. Sie muss derzeit eine Welle von Austritten verkraften. Was bedeutet das für die Kirche?

Wils: Das Image der Kirche ist dermaßen angeschlagen, das kann nicht so schnell wieder hergestellt werden. Manche Leute sprechen von einer Wende in der neuzeitlichen Kirchengeschichte - die derzeitige Diskussion könnte sich tatsächlich dazu auswachsen.

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