Palästinensergebiete:Die Strafe trifft die Notleidenden

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Mehr als eine Million Menschen im abgeriegelten Gazastreifen sind zum Überleben auf die Hilfe internationaler Organisationen angewiesen. (Foto: Mohammed Salem/Reuters)

Angesichts der Blockade des Gaza-Streifens sind viele Bewohner auf internationale Hilfe angewiesen. Nun soll schon wieder eine Hilfsorganisation der herrschenden Hamas zugearbeitet haben.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Es riecht nach einem Sumpf im Gazastreifen, nach einem fauligen Biotop für den Betrug. Nicht nur in Einzelfällen, sondern womöglich sogar systematisch soll die regierende Hamas über eingeschleuste Mitarbeiter bei internationalen Hilfsorganisationen Millionen-Summern und Material für militärische Zwecke abgeschöpft haben. Die Untersuchungen laufen auf hohen Touren, Israels Regierung befeuert nach Kräften die Verdächtigungen, doch vieles ist noch im Unklaren oder widersprüchlich. Eines aber kann man jetzt schon sagen: Ein Skandal unter der Rubrik "Pflugscharen zu Schwertern" könnte katastrophale Auswirkungen für die Bevölkerung des Gazastreifens haben. Denn angesichts der israelischen und ägyptischen Blockade sowie der Misswirtschaft der Hamas sind mehr als eine Million der 1,8 Millionen Einwohner zum Überleben auf internationale Hilfe angewiesen.

Diese Hilfe hängt vom Vertrauen der ausländischen Geldgeber ab - und schon als der erste Fall bekannt wurde in der vorigen Woche, stellten manche Unterstützer vorsichtshalber ihre Zahlungen ein. Deutschland und Australien stoppten umgehend die Überweisungen an die christliche Hilfsorganisation World Vision, nachdem deren Gaza-Projektleiter Mohammad El Halabi in Israel unter Anklage gestellt worden war. Ihm wird vorgeworfen, seit 2010 umgerechnet bis zu 40 Millionen Euro an den Bedürftigen vorbei direkt zur Hamas geschleust zu haben. Nun ist noch ein zweiter Fall bekannt geworden, der zwar offenbar geringere Ausmaße, aber dennoch hohe Brisanz hat. Denn es geht nicht wie bei World Vision um eine private Hilfsorganisation, sondern um die Vereinten Nationen.

Ein palästinensischer Mitarbeiter des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP), der bereits Mitte Juli festgenommen worden war, wurde in Israel wegen Unterstützung der Hamas angeklagt. Er soll 300 Tonnen Bauschutt von einem UNDP-Projekt zur Hamas umgeleitet haben für ein militärisches Hafenprojekt. Überdies soll er dafür gesorgt haben, dass mit UNDP-Hilfe bevorzugt die kriegszerstörten Häuser von Hamas-Mitgliedern aufgebaut wurden.

Mit diesen in beiden Fällen vom Inlandsgeheimdienst Schin Bet gesammelten Vorwürfen untermauert Israels Regierung nun eine alte Anschuldigung: Ausländische Geber und zuvörderst die ohnehin chronisch verdächtigen UN-Organisationen begäben sich allzu naiv oder willfährig in die Fänge der terroristischen Hamas. Israels UN-Botschafter Danny Danon schrieb in einem Brief an Generalsekretär Ban Ki Moon, "dies ist kein isolierter Fall, sondern eher ein beunruhigender Trend, dass die Hamas die UN-Organisationen systematisch ausnutzt".

Vom Gazastreifen aus dementiert die Hamas alle Anschuldigungen und bewertet das Ganze als israelisches Komplott. Es handele sich um "falsche und haltlose Vorwürfe vor dem Hintergrund eines israelischen Plans, mit Druck auf die internationalen Hilfsorganisationen die Blockade des Gazastreifens noch zu verschärfen". Realistisch betrachtet wäre es jedoch fast ein Wunder, wenn die mit harter Hand herrschende Hamas nicht zumindest versuchte, in irgendeiner Form auch die ausländischen Organisationen zu kontrollieren oder unter Druck zu setzen. Fraglich ist allein, wie weit ihr das gelingen kann.

Sowohl World Vision als auch UNDP sind weltweit tätig und müssten zumindest über einige Erfahrungen mit einem chaotischen Umfeld und aggressiven Herrschaftsstrukturen verfügen. Beide zeigten sich "schockiert" oder wahlweise "ernsthaft besorgt" über die Vorwürfe. Sie versprechen volle Kooperation mit den israelischen Behörden - äußern jedoch auch Zweifel und verweisen auf Widersprüche.

Das fängt im World-Vision-Fall mit dem von Israel gemeldeten Geständnis des Angeklagten an, was von seinem Anwalt energisch bestritten wird. Zudem verweist die Organisation darauf, dass das Gaza-Budget für das vergangene Jahrzehnt bei insgesamt nur etwa 20 Millionen Euro gelegen habe - ein 40-Millionen-Betrug sei also allein deshalb unmöglich. Zudem gebe es zahlreiche Kontrollmechanismen. Klarheit kann nun nur das Gerichtsverfahren bringen. Doch das kann dauern - und unabhängig vom Urteil sind die Bewohner von Gaza schon jetzt gestraft, wenn Hilfe ausbleibt.

© SZ vom 11.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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