Olympisches Feuer in Indien:Schnell weg mit der brennenden Last

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Peking zetert, Neu-Delhi zittert: Wie der olympische Fackellauf für die Inder zu einem innen- und weltpolitischen Balanceakt wird.

Karin Steinberger, Neu-Delhi

Sie steht schon da, wie auf dem Sprung, Turnschuhe, rosa Hose, schwarzes T-Shirt, kurzes Haar. Kiran Bedi, ehemaliger indischer Tennisstar und die erste weibliche Polizeibeamtin, die das Land je hatte.

Ein Sperrzaun sowie mehrere Sicherheitsringe sollen verhindern, dass es beim Fackellauf in Delhi zu Zwischenfällen kommt. (Foto: Foto: AFP)

Sie ist berühmt, hat in den siebziger Jahren Ausschreitungen am India Gate niedergeschlagen, hat einen mehr als 200 Jahre lang florierenden illegalen Alkoholhandel trockengelegt, hat das größte Gefängnis Asiens umgekrempelt und während der Asienspiele 1982 das Auto des Premierministers beinahe abgeschleppt. Supercop Bedi.

Natürlich war erst einmal die Hölle los, als sie vor gut einer Woche sagte, dass sie die Olympische Fackel in Delhi nun doch nicht tragen werde.

"Hast du es gesehen? Sie haben Rajpath eingezäunt", sagt sie und fragt, ob man sitzen will oder gehen, entscheidet dann selber, rennt an ihrem Sicherheitstrupp vorbei, aus ihrem Garten hinaus in den Park nebenan, stapft in der Hitze des Abends einen kleinen Hügel rauf und wieder runter, redet laut und schnell, wie jemand, der es gewohnt ist, Befehle zu erteilen. Rajpath.

Es gibt wenig Menschen, die Delhis Prachtstraße so gut kennen wie sie, jedes Jahr am 26. Januar findet hier die Parade zum Tag der Republik statt, hinunter vom Raisina Hügel, den Rajpath entlang bis zum India Gate. Es gebe keine Straße in diesem Land, die man so gut schützen könne, sagt sie, schüttelt den Kopf, ein Irrsinn seien die gigantischen Zäune, mit denen sie die Prachtstraße und das India Gate eingekerkert hätten.

Als sie das gesehen habe, habe sie nur gedacht: "Oh mein Gott. Das ist nicht Art der indischen Regierung, sie befriedigen da die Bedürfnisse anderer." Und drumherum soll es noch mehrere Sicherheitsringe geben, und Kommandoringe, keine Menschen, vor allem keine Tibeter. Paranoia pur.

"Das ist eine krankhafte Sicherheit. Die Fackel wird überhaupt keiner sehen. Deswegen habe ich abgesagt, ich will doch nicht in einem Käfig laufen", sagt sie, rennt den Hügel rauf und runter, Mücken umschwirren sie, es stört sie nicht.

Natürlich brauche man Sicherheit bei so einer Veranstaltung, natürlich seien die Angriffe auf die Fackel ernst zu nehmen. London, Paris, San Francisco, dieser Fackellauf ist der längste, den es je gab, und der umstrittenste. Ein Fiasko - für China, für das Olympische Komitee und für die Sicherheitskräfte.

Kiran Bedi ist Polizistin, sie hält nichts von Versteckspielen, von Fackeln, die irgendwo auftauchen und irgendwo untertauchen, von Sicherheitsmaßnahmen, die die Luft abschnüren, die ein Feuer braucht. Sie ist Profi, sie weiß, wie man Objekte schützt, ohne sie zu ersticken.

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Und sie ist Sportlerin, es tut ihr also auch weh, was da passiert mit der Fackel, die für sie doch ein Symbol der Freude ist. Aber in einem demokratischen Land wie Indien könne man nicht demokratische Mittel unterdrücken. "Wenn die Tibeter demonstrieren wollen, lass' sie demonstrieren auf der einen Seite der Straße. Und auf der anderen Seite lass' sie laufen mit ihrer Fackel. Ist doch alles möglich am Rajpath, wir haben keinen besseren Ort für so etwas." Sind ja sowieso nur noch drei Kilometer übriggeblieben. Geplant waren neun Kilometer, der Fackellauf sollte ein Fest werden, ein gigantisches Spektakel vom Roten Fort zum India Gate, gesäumt von Tausenden Menschen. Neun Kilometer. Lange her.

Natürlich wäre Kiran Bedi gerne gelaufen, natürlich fühlte sie sich geehrt, als der Sponsor Coca Cola sie fragte. Sie verdanke dem Sport alles, was sie im Leben erreicht habe. Drei Kilometer, sie lacht, weiß doch sowieso keiner, wie die Läufer auf dem kurzen Weg alle noch drankommen sollen. "Da habe ich ihnen wahrscheinlich einen Gefallen getan mit meiner Absage", sagt Kiran Bedi, rennt den Hügel wieder runter, aus dem Park hinaus, in den Garten zurück.

Sie war ja nicht die Erste. Schon Anfang des Monats hatte der Kapitän der indischen Fußball-Nationalmannschaft, Baichung Bhutia, abgelehnt am Fackellauf teilzunehmen, aus Solidarität mit den Tibetern. Er ist selber Buddhist, stammt aus dem zu Indien gehörenden Sikkim, einem ehemaligen unabhängigen Königreich im Himalaya, Tibet ganz nahe. Er hat andere Gründe, persönliche, er redet nicht gerne darüber, wenn man ihn am Telefon hat, sagt er, er musste es tun.

Und jetzt warten sie. Die Polizei, die Sportler, die Tibeter und die Politiker. Niemand weiß, was passieren wird, wenn die Fackel an diesem Donnerstag durch Delhi getragen wird. Im Internet und bei Fernsehumfragen war das Land gespalten: Lasst die Fackel nicht nach Delhi kommen, sagten die einen. Der Preis, den Indien für die Tibeter zahlt, ist zu hoch, sagten die anderen.

Natürlich sind die Tibeter ein Problem. Das Verhältnis zwischen Indien und China ist auch so schon kompliziert, die gemeinsame Grenze, der neue Markt in Afrika, es gibt viele Dinge, bei denen sich die Interessen der zwei asiatischen Giganten überschneiden. Die Tibeter machen die Sache nicht einfacher.

Auf dem Titelblatt des neuesten Outlook Magazins strahlt der Dalai Lama, darunter steht: "Ist er ein Problem für Indien?" Der seit seiner Flucht 1959 im Land lebende "respektierte Gast" belastet die Beziehungen zum Nachbarn. Dass sich die Lage seit den Ausschreitungen in Tibet am 10. März derart hochgeschaukelt hat, macht die Inder zunehmend nervös.

Außenminister Pranab Mukherjee erinnerte den Dalai Lama daran, dass man von ihm erwarte, dass er sich auf indischem Boden nicht politisch engagiere. "Seine Heiligkeit, das Dilemma", schreibt Outlook, während sich viele fragen, wo es anfängt und wo es aufhört, das politische Engagement.

Für Tsewang Rigzin ist die Mahnung der indischen Regierung nichts als Wortgeklingel: "Wir sind nun mal politische Flüchtlinge, keine ökonomischen. Und wir sind hier. Wir müssen weitermachen. Und ich persönlich habe diese Vereinbarung zwischen dem Dalai Lama und der indischen Regierung ehrlich gesagt noch nie gesehen."

Er ist Präsident des Tibetischen Jugendkongresses, dessen Hauptziel schon seit seiner Gründung 1970 die vollständige Unabhängigkeit Tibets ist. Nicht die Autonomie innerhalb Chinas, wie sie der Dalai Lama vertritt. Als terroristische Organisation hat China den Jugendkongress immer wieder bezeichnet. "Sie sagen, wir bilden Guerillakämpfer aus, es ist lächerlich", sagt ein junger Mann vom Jugendkongress, er steht am Jantar Mantar, dort, wo die Exil-Tibeter schon seit einem Monat demonstrieren.

Seit dem 10. März sitzen sie hier. Am Anfang waren es nur wenige, dann immer mehr, jetzt sind Tausende da. Sie haben sich Tränen ins Gesicht gemalt, Schriftzeichen auf die Oberkörper, Ketten um die Beine. Sie sind organisiert, Helfer bringen Arme voller Tibet-Flaggen, Kisten voller Wasserflaschen, viele tragen gelbe Hemdchen über ihren Kleidern, auf denen steht: "Wir sind kein Teil von China", oder "UN, wo bist du?" Aus ganz Indien sind sie gekommen, 80.000 Tibeter leben im Land, sie wissen: Jetzt hört ihnen die Welt endlich zu.

Inder mit Aktenköfferchen stehen am Straßenrand, schauen sich das Spektakel an, die Fotos der Leichen, die Bilder des Dalai Lama. Ein Guru mit Dreizack marschiert mittendurch, unbeeindruckt. Andere verkaufen Gurken, Kokosnüsse, Omeletts.

Auf der Bühne wechseln sich die Redner ab, sprechen von der Schande, dass ein Land wie Indien chinesische Sondereinheiten ins Land lasse, um die Fackel zu bewachen. Die Schriftstellerin Arundhati Roy war vor ein paar Tagen da, Ségolène Royal traf die Schwester des Dalai Lama im Tibethaus. Jantar Mantar ist Delhis Demonstrationsplatz, nicht weit von den Parlamentsgebäuden, hier hat man ihnen die Erlaubnis gegeben, nur hier. Die Chinesen forderten ein Verbot, das hat Delhi abgelehnt. Plötzlich laufen demonstrierende Beamte an den Tibetern vorbei, schreien ihre Slogans hinein in die Fremden, sie haben andere Sorgen.

Dann gehen die Tibeter los, drei Runden dürfen sie drehen um den Block: "Lang lebe der Dalai Lama"- "China ist der Lügner, China ist der Schlächter". Uralte Männer, junge Frauen, Jugendliche, die das Land, um das sie hier kämpfen, nie gesehen haben, Jugendkongressanhänger, Mitglieder der Exilregierung.

Friedlich, die Radikaleren sind im Zweifelsfall anderswo. Auf der Straße haben Friseure Stühle aufgestellt, sie kommen kaum nach, alle wollen sich die Haare abrasieren lassen, es ist ihr Zeichen, eines, das sie auch in Tibet machen können. Wer will es ihnen verbieten? Und am Rand stehen junge, indische Polizisten hinter gelben Absperrgittern. Sie warten zusammen - nur auf was, das wissen sie nicht.

© SZ vom 17.4.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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