Ohnesorg, die DDR und die 68er:Der Stasi-Kurras

Lesezeit: 2 min

Der für die Stasi spitzelnde West-Polizist Kurras und Ohnesorgs Tod: Warum die Geschichte der Studentenrebellion nicht umgeschrieben werden muss.

Heribert Prantl

Mental war die Polizeiführung in Berlin damals "militarisiert": Das schreibt der frühere Berliner Polizeipräsident Klaus Hübner (von 1969 bis 1987) in seinen Erinnerungen an 1967.

Unbestrafter Todesschütze: Polizist und Stasi-Agent Karl-Heinz Kurras 1967 während eines der Gerichtsverfahren, die gegen ihn wegen der Ohnesorg-Tötung angestrengt wurden. Kurras ging stets straffrei aus. (Foto: Foto: dpa)

Er empört sich über die berüchtigt-krude Polizeitaktik seines Vorgängers Erich Duensing; der hatte damals sein Vorgehen gegen die studentischen Anti-Schah-Proteste so erläutert: "Nehmen wir die Demonstranten als Leberwurst, dann müssen wir in die Mitte hineinstechen, damit sie an den Enden auseinanderplatzt".

Es kam zu Straßenschlachten, und es wurde nicht nur hineingestochen, sondern hineingeschossen: Der Polizist Kurras tötete auf einem Garagenhof den Studenten Ohnesorg durch einen Schuss in den Hinterkopf; angeblich aus Notwehr, obwohl sich viele Polizeikräfte dort tummelten.

Was wäre gewesen, wenn das, was jetzt bekannt wurde, schon damals bekannt gewesen wäre? Dass dieser West-Berliner Polizist, der am 2. Juni 1967 Benno Ohnesorg erschoss, ein Ost-Berliner Stasi-Spitzel war?

Karl-Heinz Kurras war IM. Was wäre gewesen, wenn diese Wahrheit über den Mann, der den Studenten als das Gesicht der "reaktionären BRD" galt, damals bekannt geworden wäre? Die Studenten hätten sie für Lüge gehalten, für dreistes Staatsschutztheater, aufbereitet von der Springer-Presse.

Die Szene hätte sich so radikalisiert, wie sie sich radikalisiert hat. Die westdeutsche Politik freilich, womöglich auch die Mehrheits-Gesellschaft, hätte Kurras' Tat der DDR zugerechnet - mit womöglich spektakulären politischen Folgen.

Aber welchen Einfluss auf den konkreten Ablauf des 2. Juni 1967 hatte die Stasi? Auf die Strategie der Westberliner Polizei keinen: Deren Aktion "Füchse jagen" hat nicht der kleine Kurras angeordnet.

Es war nicht seine Strategie, Polizeitrupps auf Demonstranten einprügeln zu lassen. Er hat die harte Linie nicht erfunden, er hat sie ausgeführt. Sie hat ihm gefallen, wie spätere Äußerungen zeigen.

Der Mann hat gerne geprügelt. Mag sein, dass die Stasi bei der Anwerbung solcher Charaktere leichtes Spiel hatte, mag sein, dass brutale Affinitäten bestanden. Das betrifft die innere Seite der Tat.

Sensationell wären die neuen Erkenntnisse, wenn der Stasi den Mann dazu angeleitet hätte, bei Einsätzen gegen Studentenproteste sehr brutal zu sein, um so die Ordnung in Westberlin und der BRD zu destabilisieren.

Dann wäre der Stasi womöglich Helfer der Tat gewesen. Solche Spekulationen gibt es, daher sind die neuen Erkenntnisse spektakulär. Aber es gibt dafür keine Anhaltspunkte.Wäre die Wahrheit über die Identität von Kurras schon 1967/68 bekannt geworden - die Spitzel-Tätigkeit wäre damals wohl Anhaltspunkt genug gewesen.

Eine Wiederaufnahme der Ermittlungen heute wäre strafrechtlicher Unfug. Dass die Stasi konkreten Einfluss auf die konkrete Tat des Täters hatte, ist ganz unwahrscheinlich.

Aber: Dass der in ihrem Sold stand, ist schlimm genug. Und es ist schlimm, dass es Politik und Polizei nicht gelang, die Eskalation der Dinge zu stoppen.

© SZ vom 23./24. Mai 2009/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Stasi-Agent erschoss Studenten
:Der Tod des Benno Ohnesorg

1967 starb der Student Benno Ohnesorg in BerliBerlin durch eine Polizeikugel - und wurde zur Ikone des Studentenprotests.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: