Österreich:Nach der Wahl ist vor der Wahl

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Die Österreicher haben über ein neues Parlament abgestimmt, welche Koalition sie bekommen werden, ist aber noch nicht sicher. Fest steht: Der Ball liegt bei ÖVP-Chef Kurz.

Von Peter Münch, Wien

Auf die Parlamentswahl muss in Österreich nun die Partnerwahl folgen. Auch wenn ein Bündnis der siegreichen Volkspartei (ÖVP) von Sebastian Kurz mit der FPÖ von Heinz-Christian Strache wegen der inhaltlichen Übereinstimmungen allgemein als naheliegende Lösung gilt, betonen alle Seiten die Offenheit des Prozesses. Jeder will mit jedem reden, und das könnte dauern.

Als verzögernder Faktor kommt hinzu, dass erst am Donnerstag das amtliche Endergebnis bekannt gemacht wird, weil bis dahin noch die etwa 750 000 Briefwahlstimmen ausgezählt werden müssen. Dabei kann es noch zu Verschiebungen kommen. Die arg dezimierten Grünen rechnen sich bis zuletzt eine Restchance auf den Einzug in den Nationalrat aus. Weit wichtiger für die anstehenden Koalitionsverhandlungen wird aber sein, ob die FPÖ am Ende auf Platz drei oder doch noch auf Platz zwei landet.

Noch steht das Ergebnis samt Briefwahl aus - das entscheidet, ob die FPÖ vor der SPÖ liegt

Vorgelegt wurde am Sonntagabend von Innenminister Wolfgang Sobotka nur das vorläufige amtliche Endergebnis ohne Briefwahlstimmen. Danach erreicht die ÖVP 31,5 Prozent. Die FPÖ belegt hier den zweiten Platz mit 27,1, die SPÖ den dritten mit 26,8 Prozent der Stimmen. Die liberalen Neos (5,0 Prozent) und die Liste Peter Pilz (4,1 Prozent) haben die Vier-Prozent-Hürde zum Einzug in den Nationalrat übersprungen. Die Grünen liegen darunter mit 3,4 Prozent.

Aussagekräftiger als diese amtlichen Zahlen dürften dennoch die letzten Hochrechnungen sein, weil dort die Briefwahlstimmen bereits mit eingepreist worden sind. Die ÖVP erzielt dort 31,6 Prozent. Auf dem zweiten Platz findet sich die SPÖ mit 26,9 Prozent. Die Freiheitlichen sind demnach nur Dritter mit 26,0 Prozent.

Die Platzierung der FPÖ ist deshalb wichtig, weil davon die Koalitionsoptionen abhängen dürften. Liegt sie auf Platz zwei, könnte sie zwar mit breiterer Brust in Verhandlungen mit der Volkspartei treten. Allerdings wäre das dann wohl auch ihre einzige Möglichkeit zur Machtbeteiligung, weil ein Bündnis mit der SPÖ in diesem Fall kaum in Betracht käme. Zumindest erscheint es unvorstellbar, dass die Sozialdemokraten einen FPÖ-Politiker zum Kanzler machen und als kleinerer Partner in dieses Bündnis eintreten würden. Die erstarkte FPÖ ihrerseits wird sich kaum auf ein Modell wie im Jahr 2000 einlassen, als sie als Zweitplatzierte den auf dem dritten Platz liegenden ÖVP-Politiker Wolfgang Schüssel zum Kanzler machte.

Denkbar ist ein rot-blaues Bündnis daher höchstens unter Führung der SPÖ. Doch selbst das würde die Sozialdemokraten vor eine Zerreißprobe stellen. Differenzen zeigten sich schon am Wahlabend, als Kanzler Christian Kern Gespräche mit der FPÖ nicht ausschließen, der zum linken Flügel zählende Wiener Bürgermeister Michael Häupl davon jedoch nichts wissen wollte.

Kern vollzog überhaupt eine Kehrtwende, weil er vor der Wahl angekündigt hatte, in die Opposition zu gehen, sollte er nur auf Platz zwei kommen. Nun spricht er lieber von der "Verantwortung" der Sozialdemokraten gegenüber Österreich und hält sich unter vertauschten Rollen auch eine Neuauflage der Koalition mit der Volkspartei offen. Komplett ausschließen will das nicht einmal Sebastian Kurz, obwohl dies seinen Wahlslogan konterkarieren würde, dass es nun an "Zeit für Neues" sei.

Eine Schlüsselrolle könnte Bundespräsident Alexander Van der Bellen zufallen. Zunächst muss der frühere Grünen-Politiker nun den Auftrag zur Regierungsbildung vergeben, erklärtermaßen an Sebastian Kurz. Wenn der dann ein Bündnis gezimmert hat, muss der Präsident laut Verfassung nicht nur die gesamte Regierung, sondern jedem Minister einzeln zustimmen. Diese Machtstellung hat er bereits vorab genutzt, um von jeder neuen Regierung ein "klares Bekenntnis zu Europa" zu verlangen. Die FPÖ dürfte sich überdies auch dadurch angesprochen fühlen, dass Van der Bellen auf sein Recht verwiesen hat, einzelne Minister abzulehnen.

© SZ vom 17.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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