Österreich:Im Tiefflug

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ÖVP und SPÖ sind ausgelaugt und zu großen Projekten unfähig. Die Bundesparteien werden von starken Landeshauptleuten herumgeschubst, die sich nur für ihre Anliegen interessieren, nicht für die Partei oder gar das Land. Das wird sich rächen.

Von Cathrin Kahlweit

Als der Vorstand der ÖVP am Sonntag zusammentrat, um einen Ministerwechsel abzunicken, der nicht in Wien von der Parteipitze, sondern in der Provinz von einem Provinzpolitiker eingefädelt und beschlossen worden war, da gab es nur wenige, dafür aber devote Wortmeldungen: Wie schön, dass die scheidende Innenministerin Johanna Mikl-Leitner in der Flüchtlingskrise so gute Arbeit gemacht habe, wie schön, dass ihr Nachfolger, der nun statt ihrer aus Niederösterreich in die Hauptstadt geschickt wird, das sicher auch gut machen werde. Wut, Tränen, Empörung, Revolution? Nicht in der ÖVP, nicht gegen den Landeshauptmann von Niederösterreich, Erwin Pröll.

Hinter den Kulissen kochte es, das schon: Wie kann Pröll, der mächtigste unter Österreichs Ministerpräsidenten, es wagen, der Bundespartei mitten im Präsidentschaftswahlkampf einen Wechsel im Kabinett aufzuzwingen? Wie kann er die vielleicht wichtigste Ministerin einfach zur Unzeit abziehen, die in der EU für Österreich die Asylpolitik koordiniert und eine radikale Gesetzesverschärfung durchzukämpfen hat? Wie kann er die Partei blamieren, die derzeit mit ihrem Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten Schiffbruch zu erleiden droht, weil der an vorletzter Stelle liegt? Und warum muss der Niederösterreicher allen demonstrieren, dass die Politik in Wien Sklavin einiger Landesfürsten ist? Sogar Kanzler Werner Faymann teilte irritierend eilfertig in einer Presseerklärung mit, er "respektiere diese Entscheidung".

ÖVP und SPÖ sind unfähig, klammern sich aber aneinander

An der Parteibasis und in den Gremien herrscht Frustration: Was soll aus dieser Partei, dieser Koalition, dieser Regierung werden, die von Partikularinteressen zerrissen und von individuellen Eitelkeiten zerfressen wird? Wie Pröll die Parteispitze vorführte, die er ironischerweise am Tag darauf, am Montag, zu einer großen Unterstützungsparty für den scheiternden Präsidentschaftskandidaten zu sich nach Niederösterreich einlud, auf dass dort alle die düpierten Granden beim ihm antreten und Männchen machen - das ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten.

Die Ereignisse der vergangenen Tage zeigen, wie es läuft in Österreichs Regierungsparteien: Ihre Politik wird in den Ländern gemacht, und vor allem Länderinteressen, nicht internationale Reputation, nationale Fragen, Zukunftsthemen von gesamtstaatlicher Bedeutung bilden das systemische Rückgrat des Staates. Das gilt nicht nur für die ÖVP. Auch der Kurs der Bundes-SPÖ wird unter einem schwachen Kanzler von den Landeshauptleuten bestimmt. Der Schwenk in der Flüchtlingsfrage etwa kam, weil einige Landesparteien mit der rechten FPÖ koalieren oder paktieren, was der Kanzler noch vor einem Jahr als unerträglich bezeichnet hatte. Und weil die Angst vor der FPÖ in Wien fast so groß ist wie die vor den eigenen Leuten.

Das drohende Fiasko der Regierungsparteien bei der Präsidentschaftswahl, ihre Zerfallserscheinungen, die wachsende Konkurrenz durch die liberalen Neos, Grüne und die reaktionäre FPÖ - das alles ist symptomatisch für die Krise der etablierten Politik. ÖVP und SPÖ sind aufgrund ihrer inneren Schwäche nicht mehr zu Reformen fähig, sie haben aus wichtigen Themen wie der Renten- oder Bildungsreform eine Farce oder eine unendliche Geschichte gemacht. Derzeit droht sogar ihr aktuellstes und zugleich umstrittenstes Projekt, die Verschärfung des Asylrechts, zu scheitern; in diesem Fall ist es die Landesorganisation der Wiener SPÖ, die nicht mitspielen will und Faymann vorführt.

Sollte der nächste Bundespräsident, was nicht mehr auszuschließen ist, ein Grüner sein, dann droht der endgültige Bruch der zitternden, schwankenden Koalition. Aber sie wird nicht brechen, sie wird sich an die Macht klammern. Denn sonst kämen Neuwahlen - und damit die FPÖ.

© SZ vom 12.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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