Österreich:Blick nach rechts

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Die SPÖ halten eine Koalition mit der rechten FPÖ auf Bundesebene für denkbar. Politische Partner sollten sich an einen Wertekatalog halten.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Die österreichischen Sozialdemokraten haben mit einem Tabu gebrochen, das bereits 30 Jahre lang währt. Das SPÖ-Präsidium sprach sich am Mittwoch dafür aus, nach der für den 15. Oktober geplanten Nationalratswahl Koalitionsverhandlungen mit allen Parteien zu führen - also auch mit der FPÖ. Bisher galt in der SPÖ die sogenannte Vranitzky-Regel, die ein Parteitag zuletzt 2014 bestätigt hatte: eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten auf Bundesebene wurde ausgeschlossen. Auf lokaler Ebene bestehen Kooperationen mit den Freiheitlichen, und auch im Burgenland regiert derzeit eine rot-blaue Koalition.

Politische Partner müssen sich zu Europa, zum Antifaschismus, zur Gleichberechtigung bekennen

Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzender Christian Kern argumentierte auf einer Pressekonferenz nach dem Beschluss, man rolle der FPÖ "nicht etwa den roten Teppich" aus, sondern stelle umgekehrt eine Reihe von Bedingungen auf, die ein potenzieller Partner akzeptieren müsse. Unter der Führung des Kärntner Landeshauptmannes Peter Kaiser hatte eine Arbeitsgruppe zuvor einen sogenannten Werte- oder Kriterienkatalog formuliert, dem nun sieben konkrete politische Forderungen beigestellt wurden. Der Kriterienkatalog, zu dem sich politische Partner bekennen müssten, enthält unter anderem ein Bekenntnis zu Europa, zum Antifaschismus und zur Gleichberechtigung. In einer möglichen Koalitionsvereinbarung nach der Wahl will die SPÖ dann beispielsweise auch 1500 Euro Mindestlohn, eine Erbschaftsteuer, einen Rechtsanspruch auf einen Ganztags-Kindergartenplatz verankert sehen.

Kern betonte, es sei historisch richtig gewesen, nicht mit der FPÖ zu koalieren. Der neue Wertekompass sei keine Einladung an die Freiheitlichen, sondern vielmehr ein Test für alle Parteien, ob sie sich mit den Konditionen der Sozialdemokratie anfreunden könnten. Es gehe nicht darum, mit wem man zusammengehe, sondern worüber geredet werden müsse. Nach wie vor gebe es grundlegende sachpolitische Differenzen mit der FPÖ, aber die gebe es mit allen Parteien.

Man müsse allerdings konzedieren, dass in den letzten Jahren etwa eine Million Wähler von der SPÖ zur FPÖ abgewandert seien, weil sie sich dort besser vertreten fühlten; denen wolle und müsse die Sozialdemokratie wieder ein Angebot machen. Er selbst, so der Kanzler, setze darauf, dass die SPÖ bei der Wahl stärkste Kraft werde. Allerdings liegt die ÖVP mit ihrem neuen Vorsitzenden Sebastian Kurz, der im Oktober unter dem Namen "Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei" antreten will, derzeit in Umfragen vor dem langjährigen Koalitionspartner.

Die Abkehr der SPÖ vom FPÖ-Tabu war schon länger im Gespräch, hat aber durch den Bruch der rot-schwarzen Regierungskoalition im Mai eine neue Dringlichkeit bekommen. Da die Sozialdemokraten nach aktuellen Umfragen keine Mehrheit links der Mitte, mit Grünen und Neos, zusammenbekämen, bliebe zum Machterhalt nur das Zusammengehen mit den Blauen; eine große Koalition wird derzeit ausgeschlossen.

Ob es nach der Nationalratswahl aber tatsächlich eine rot-blaue Koalition geben würde, soll im Zweifel eine Mitgliederbefragung ergeben. Breite Kreise in der Partei, darunter die Wiener SPÖ um Bürgermeistern Michael Häupl und die Jugendorganisation, halten ein Zusammengehen mit den Rechtspopulisten für politisch unerträglich. Kritiker warnen vor einer Parteispaltung.

Ohnehin lehnt die europakritische und integrationsfeindliche FPÖ bisher eine Erbschaft- und Vermögensteuer ebenso grundsätzlich ab wie eine Rundum-Kinderbetreuung. FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl nannte den "Wertekompass" der SPÖ eine "Nabelschau zum Zweck des Machterhalts", aber keinen Beweis für "ehrlichen Reformwillen". Parteichef Heinz-Christian Strache kündigte seinerseits an, man werde schon bald ein Wirtschaftsprogramm und ein Grundsatzpapier mit den politischen Vorstellungen zu den ersten "200 bis 300 Tagen in der Regierung" präsentieren. In einer Koalitionsvereinbarung müsse sich die FPÖ in jedem Fall zu "mindestens 50 Prozent wiederfinden".

© SZ vom 16.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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