NSU-Untersuchungsausschuss:Ein Informant namens Erbse

Ein seltsamer Zeuge tritt vor den NSU-Untersuchungsausschuss in Stuttgart. Die Frage, die er aufwirft, ist brisant: Hat der Verfassungsschutz schon 2003 von den Nazi-Terroristen erfahren? Oder hat ein Beamter "gnadenlos versagt"?

Von Tanjev Schultz, Stuttgart

Der baden-württembergische Verfassungsschutz hatte mal einen Informanten: Torsten O., Deckname "Erbse". Das war Ende der 1980er Jahre. Schon nach wenigen Monaten trennten sich die Wege. Erbse ließ nicht locker und meldete sich auch später wieder mit wilden Geschichten. Vor allem der Mossad, der israelische Geheimdienst, hatte es ihm angetan. Über den wollte der gelernte Schreiner reden. Und über den Mord an Uwe Barschel und an dem schwedischen Politiker Olof Palme. Irgendwie hing für Torsten O. alles zusammen. Und nun auch noch der NSU?

An diesem Montag sitzt Torsten O. alias Erbse als Zeuge im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags von Baden-Württemberg. Wegen einer anderen Sache sitzt er zurzeit im Gefängnis, in Handschellen führt man ihn zu seinem Platz im Plenarsaal. Eingeschüchtert wirkt der 47-Jährige nicht, im Gegenteil. Er scheint es zu genießen, Publikum zu haben. Auf dem Tisch breitet er eine Mappe aus. Er ist vorbereitet. Aber: Zum NSU hat er gar nichts zu sagen.

Hat der windige Informant ausnahmsweise Wahres berichtet?

Gern schweift Torsten O. ab, um wieder mit Palme, Barschel und dem Mossad anzufangen. Das interessiert den Ausschuss nicht. Erbse ist als Zeuge geladen, weil ein ehemaliger Verfassungsschützer behauptet hat, der ehemalige Informant habe im Sommer 2003 bei einem Treffen auch über den NSU und über einen gewissen Herrn Mundlos gesprochen. Als dann im Jahr 2011 die Nazi-Terrorgruppe aufflog und der Name "Uwe Mundlos" in allen Zeitungen stand, will sich der pensionierte Beamte mit Schrecken daran erinnert haben.

Soll der windige Informant vor Jahren, als noch niemand in den Behörden etwas über den NSU gewusst haben will, ausnahmsweise etwas Wahres und Brisantes berichtet haben?

Der Vorfall machte bereits 2012 Schlagzeilen, nachdem sich der Beamte ans Bundeskriminalamt gewandt und sich auch der Untersuchungsausschuss des Bundestags damit befasst hatte. Schon damals war der Eindruck: Der Verfassungsschützer könnte sich getäuscht und in seiner Erinnerung etwas durcheinandergebracht haben.

Erstmals muss Torsten O. alias Erbse in Stuttgart vor die Öffentlichkeit treten. Die NSU-Ermittler hatten ihn bereits befragt und er hatte gesagt, über den NSU und über Uwe Mundlos habe er nie etwas berichtet. So sagt er es nun auch vor dem Ausschuss. Die Aussage des Verfassungsschutz-Beamten sei "von vorne bis hinten" falsch.

Unstrittig ist, dass es im August 2003 tatsächlich ein Treffen zwischen Torsten O. und dem Beamten des Landesamts für Verfassungsschutz, Günter S., gab. Es fand, weil sich O. zunächst an einen Pfarrer gewandt hatte, in einem Gemeindehaus in Flein statt. Laut O. dauerte das Gespräch nur zehn bis 15 Minuten, der Beamte spricht dagegen von etwa vier Stunden (und der Pfarrer bestätigt, es habe länger als zwei Stunden gedauert). Über weite Strecken soll es um den Mossad gegangen sein, aber der Beamte behauptet, am Schluss habe O. eben auch noch Mundlos und den NSU erwähnt.

O. soll für die Rechtsterroristen aus Ostdeutschland eine Bank in Heilbronn ausgekundschaftet haben. So jedenfalls will es der Beamte gehört haben. Vor dem Ausschuss behauptet er, O. habe auch berichtet, dass er die NSU-Leute auf dem Rathausplatz in Heilbronn getroffen habe. Sie hätten dann aber gemerkt, dass man sie observiert hätte, daraufhin hätten sie fluchtartig den Platz verlassen.

Scherze über den Namen Mundlos

Erbse ist ein Typ, von dem man erwarten würde, dass er sich heute noch mit Kenntnissen über den NSU brüsten würde. Er tut es nicht. Er beteuert, Mundlos nie erwähnt und erst nach 2011 aus den Medien etwas vom NSU gehört zu haben. Seine Mossad-Erzählungen hat Erbse weit gestreut, dazu auch Briefe an diesen und jenen geschrieben. Hätte er das nicht auch getan, wenn er etwas über eine Organisation namens NSU erfahren hätte?

Vieles spricht also dafür, dass sich der Beamte Günter S. irrt. Allerdings ist er erstaunlich fest von seiner Version überzeugt. An das Kürzel "NSU" könne er sich so gut erinnern, weil er damals an das Kennzeichen von Neckarsulm gedacht habe. Und über den Namen "Mundlos" will er sogar noch einen Scherz gemacht haben.

Der Beamte macht sich heute Vorwürfe

Es gibt nichts Schriftliches dazu. Es existiert lediglich ein Vermerk, in dem er die kruden Thesen über den Mossad darstellte und anmerkte, dass die von Erbse benannten Personen im bundesweiten Informationssystem des Verfassungsschutzes nicht verzeichnet seien. Hätte er auch nach dem Namen "Mundlos" recherchiert, hätte er damals in der Datenbank einen Treffer über den untergetauchten Neonazi bekommen. Vor dem Ausschuss sagt Günter S.: "Ich bin der Meinung, dass ich die Namen abgefragt habe." Dann hätten alle Alarmleuchten angehen müssen. Mundlos wurde seit 1998 gesucht.

Der Beamte macht sich heute Vorwürfe, dass er der Sache nicht richtig nachgegangen sei. "Ich habe erkannt, dass ich gnadenlos versagt habe. Meine Sensoren haben nicht registriert, dass da etwas Wahres dran sein kann." Aber möglicherweise macht er sich diese Vorwürfe zu Unrecht. Hat er sich im Nachhinein in etwas hineingesteigert?

Günter S. ist einige Zeit vor Auffliegen des NSU vorzeitig in den Ruhestand gegangen, er spricht von gesundheitlichen Problemen, von einem Burnout und einer nervlichen Belastung, die zu groß geworden sei. Der Beamte hatte in der Abteilung für Spionageabwehr gearbeitet.

In einem wichtigen Punkt revidiert er seine frühere Aussage: Vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags behauptete er, seine Vorgesetzten hätten ihn damals dazu gebracht, einen Vermerk über den NSU zu vernichten. Nun sagt er, es habe keinen Vermerk gegeben, sondern lediglich handschriftliche Notizen (die er leider auch nicht mehr habe). Seine Darstellung wirkt wenig konsistent.

Ein LKA-Mann, der in dem Fall ermittelt hat, sagt: Der pensionierte Beamte sei ihm "eifernd pedantisch" vorgekommen. Als Zeuge wird auch ein früherer Vorgesetzter von Günter S. aus dem Landesamt für Verfassungsschutz vernommen. In all den Jahren sei in seiner Abteilung, die für Spionageabwehr zuständig war, "kein Wort über Rechtsextremismus" gefallen.

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