NSU-Prozess:Unerwartetes Bekenntnis

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"Unser Mandant ist Nationalsozialist", sagt der Anwalt von André E. in seinem Plädoyer - und tut fast so, als müsse das als Verdienst gewertet werden.

Von Annette Ramelsberger und Wiebke Ramm, München

Im NSU-Prozess gibt es auch nach fünf Jahren und 423 Verhandlungstagen noch Dinge, die nicht vorhersehbar sind. Etwa Momente der Wahrheit. Am Dienstag war so ein Moment. Da stellt sich Anwalt Herbert Hedrich hin, der Mann, der den Angeklagten André E. verteidigt. Er ruft mit fester Stimme in den Saal: "Unser Mandant ist Nationalsozialist, der mit Haut und mit Haaren für seine politische Überzeugung steht." Und dann folgen Sätze, die nahelegen, dass dieses Bekenntnis als Verdienst gewertet werden müsse: Keiner der anderen vier Angeklagten habe sich so offen zu seiner politischen Einstellung geäußert wie André E. Dann sagt Hedrich: "Das Wort: 'Ich bin ein Nationalsozialist' hat heute hier im Saal Premiere." Doch dieser Premiere folgt kein Applaus, obwohl vier rechtsradikale Kameraden von André E. aus Zwickau gekommen sind und ihm von der Besuchertribüne aus zuwinken. Die Reaktion im Saal ist unterdrücktes Stöhnen.

Hedrich sagt, er verteidige nicht die Taten von André E., aber es scheine, als wenn seine politische Gesinnung ausreiche als Tatnachweis. Nach dem Motto: "Solchen Leuten ist alles zuzutrauen." Die Bundesanwaltschaft traut diesem Angeklagten wirklich eine Menge zu: André E. war der engste Vertraute von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, dem innersten Zirkel der Terrorbande NSU. Er hat Zschäpe bei der Flucht geholfen, eine Wohnung und Wohnmobile für den NSU angemietet. Mit einem dieser Wohnmobile fuhren Böhnhardt und Mundlos Ende 2000 nach Köln und legten eine Bombe, die ein junges Mädchen lebensgefährlich verletzte. André E. ist deswegen der Beihilfe zum Mordversuch und der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Die Bundesanwaltschaft hat zwölf Jahre Haft gefordert. Seine Verteidiger sehen das anders: Sie fordern Freispruch und den Haftbefehl aufzuheben.

André E. scheint zu gefallen, was seine Anwälte erzählen. Er lacht zu seinen Kameraden hoch. Neben ihm sitzt seine Frau Susann, die ehemals beste Freundin von Beate Zschäpe. Er küsst sie zur Begrüßung, sie halten sich an den Händen. André E. und seine Familie besuchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nach deren Untertauchen immer donnerstags. Der Angeklagte E. sitzt seit vergangenem September in Haft - das Gericht hatte Haftbefehl wegen Fluchtgefahr erlassen.

Die Bundesanwaltschaft habe nicht berücksichtigt, dass André E. zur Zeit des Bombenanschlags in Köln mit 21 Jahren noch keine ausgereifte Persönlichkeit war, erklärt Hedrich. Während seiner Zeit bei der Bundeswehr wurde E. vom Militärischen Abschirmdienst befragt. Dort hat er angegeben, "Blut und Ehre" sei ein Wahlspruch der Waffen-SS. "Es war aber ein Wahlspruch der Hitler-Jugend", so Hedrich. "Diese Unkenntnis beruht darauf, dass er in diesem Alter kein verfestigtes Weltbild als Nationalsozialist hatte." So feinsinnig wird hier getrennt. Der Verteidiger sagt dann noch, sein früherer Strafrechtslehrer habe immer gesagt: "Männer werden erst mit 25 Jahren erwachsen." Der Angeklagte E. ist der einzige im NSU-Prozess, der durchgängig geschwiegen hat. Es war ein beredtes Schweigen: Einmal trug er ein T-Shirt mit der Aufschrift "Brüder schweigen", dem Wahlspruch der rechten US-Vereinigung "The Order", die dem NSU ähnelt. Zuhause hatte er eine Art Altar mit den Bildern von Böhnhardt und Mundlos mit der germanischen Rune "Unvergessen".

"Herr E. wusste genau, wem er hilft", hatte Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten in seinem Plädoyer gesagt. "Und er war aufgrund seiner eigenen rechtsextremistischen Einstellung damit einverstanden." Weingarten sagte damals: "Man kann das nicht glauben, dass der Angeklagte E. neun Jahre lang neben Frau Zschäpe, Herrn Böhnhardt und Herrn Mundlos hertrottete, sie mit anderen Namen anspricht, keinen je arbeiten sieht, teils kostspielige Geschenke von ihnen erhält und nie, nie, nie fragt: 'Wovon lebt ihr eigentlich und warum im Untergrund?'"

"Mein Mandant ist nicht nebenhergetrottet. Er hat in dieser Zeit drei Ausbildungen gemacht, mit seiner Frau drei Kinder bekommen", sagt Hedrich. "Er war nicht damit beschäftigt, Zielobjekte auszuspähen. Mein Mandant hat sein eigenes Leben geführt ohne ständige klammheimliche Freude darüber, wen Mundlos und Böhnhardt gerade wieder in die Luft gejagt hätten." Die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung könne man ihm nicht nachweisen. Und die Reise ins Disneyland Paris, die Zschäpe ihnen schenkte? Das war für den 30. Geburtstag von Susann, kein Dank für die Hilfe für den NSU, sagt Hedrich.

© SZ vom 09.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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