NSU-Prozess:Ende in Sicht

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Richter Götzl möchte die Beweisaufnahme abschließen. Zschäpes Verteidiger sind überrumpelt. Größtes Problem ist das psychiatrische Gutachten.

Von Wiebke Ramm, München

Im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München hat das Gericht am Donnerstag auf ein baldiges Ende gedrungen. Nach mehr als dreieinhalb Jahren Verhandlung hat Richter Manfred Götzl am 327. Hauptverhandlungstag deutlich gemacht, dass er die Beweisaufnahme Ende dieses, Anfang nächsten Jahres beenden will. Götzl forderte die Verteidiger der fünf Angeklagten, die Vertreter der Bundesanwaltschaft und die Vertreter der Nebenklage auf, etwaige Beweisanträge "möglichst zügig und möglichst schnell" zu stellen. Damit hat der Senat erstmals deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er bereit ist, ein Urteil zu fällen. Ein Ende des NSU-Prozesses ist in Sicht.

Richter Götzl gab bekannt, dass Psychiater Henning Saß noch vor Weihnachten, am 20. und 21. Dezember, sein Gutachten über die Hauptangeklagte Zschäpe vor Gericht vortragen soll. Eine Gutachtenerstattung kommt in der Regel kurz vor den Schlussvorträgen von Anklägern, Nebenklagevertretern und Verteidigern. Zschäpes Verteidiger, Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm, zeigten sich überrumpelt vom Drängen des Senats.

Seit Ende Oktober liegt das Gutachten von Psychiater Saß in vorläufiger Fassung vor. Es fällt ungünstig für Zschäpe aus. Die Verteidiger planen nach eigener Auskunft, einen Gegengutachter einzusetzen, um das Gutachten von Saß anzugreifen. Verteidiger Heer sagte am Donnerstag, sie benötigten mehr Zeit, um sich auf die Gutachtenerstattung vorzubereiten, "weil wir uns zur Auseinandersetzung mit dem Gutachten externer fachkundiger Unterstützung bedienen, die abschließend voraussichtlich in diesem Monat nicht mehr zu erlangen sein wird".

Der Verteidiger deutete an, dass sie Saß' methodisches Vorgehen kritisieren wollen. Saß hat sein Gutachten erstellt, ohne mit Zschäpe gesprochen zu haben. Die Angeklagte weigert sich bis heute, mit dem Psychiater zu reden. Ob sie bei ihrer Suche nach einem Gegengutachter bereits erfolgreich gewesen sind, ließ Heer offen.

Psychiater Saß legte in seinem vorläufigen Gutachten die Sicherungsverwahrung für Zschäpe nahe, sollte das Gericht sie für schuldig befinden, als Mittäterin an zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und 15 Raubüberfällen beteiligt gewesen zu sein. Saß sieht bei Zschäpe einen Hang zu Straftaten und damit eine Wiederholungsgefahr, sofern das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass sie Mitglied der rechtsterroristischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) gewesen ist. Saß machte in seinem vorläufigen Gutachten auch deutlich, dass er Zschäpes eigene Unschuldsbeteuerung für wenig überzeugend hält.

Zschäpe hatte vor Gericht erklären lassen, dass sie von den Morden und Bombenanschlägen jeweils erst im Nachhinein erfahren, und sie weder gewollt noch geplant oder durchgeführt habe. Sie zeichnete von sich das Bild einer schwachen Frau, die von ihren Lebensgefährten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos emotional abhängig gewesen sei. Dies steht im Widerspruch zu mehreren Zeugenaussagen. So hatte etwa ihr Cousin, Stefan A., über Zschäpe gesagt: "Sie hatte die Jungs im Griff." Mit "Jungs" meinte er Böhnhardt und Mundlos.

Unbeeindruckt von den Plänen von Heer, Stahl und Sturm zeigte sich Zschäpes weiterer Verteidiger Mathias Grasel. Er habe für kommenden Donnerstag "ergänzende Angaben" der Angeklagten angekündigt, teilte Götzl mit. Grasel hatte an einem vorherigen Verhandlungstag bereits gesagt, dass sich Zschäpe zu dem vorläufigen Gutachten äußern wolle. Ob sie selbst sprechen wird, sagte er nicht. Auch Zschäpes Antworten auf Fragen des Gerichts zum Mordfall Peggy und zu kinderpornografischen Dateien auf Zschäpes Computer stehen noch aus und werden ebenfalls für nächste Woche erwartet. Zschäpe und Grasel sprechen ihr Vorgehen seit Monaten nicht mehr mit den Verteidigern Heer, Stahl und Sturm ab.

Am Ende des Verhandlungstages unterstrich Richter Götzl seine Absicht, das Verfahren bald zu beenden. Für die kommende Woche sagte er zwei von drei Verhandlungstagen ab, um den Zschäpe-Anwälten Heer, Stahl und Sturm Gelegenheit zu geben, sich auf das Saß-Gutachten vorzubereiten. Ob ihnen dies reicht, oder ob sie sich weiter für eine Verschiebung einsetzen werden, wird sich nächste Woche zeigen.

Richter Manfred Götzl will, dass das psychiatrische Gutachten über die Hauptangeklagte Beate Zschäpe noch vor Weihnachten vorgetragen wird. (Foto: Tobias Hase/dpa)
© SZ vom 02.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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