NSA-Affäre:Der Geheimniskrämer

Lesezeit: 2 min

Gewerkschaftsmitglied, Zen-Buddhist und ein erfahrener Jurist: Der frühere Bundesverwaltungsrichter Kurt Graulich nennt Nachrichtendienste eine "Strapaze" für den Rechtsstaat. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Der Verwaltungsjurist Kurt Graulich wird als Kandidat für das Amt des NSA-Sonderermittlers gehandelt. Er hat Erfahrung im Bereich der Nachrichtendienste.

Von Hans Leyendecker, München

Er war erst Jungsozialist und trat 1970 wegen Gustav Heinemann, dem Bürgerpräsidenten, in die SPD ein. 20 Jahre lang war er dann Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Juristen im SPD- Bezirk Hessen-Süd, ist außerdem Gewerkschaftsmitglied, Zen-Buddhist und Verehrer des universalen Demokraten Ludwig Börne - für jemanden, der den Regierenden in Berlin angeblich das Geschäft besorgen soll, hat Kurt Graulich einen ungewöhnlichen Hintergrund.

Der 65 Jahre alte Bundesverwaltungsrichter im Ruhestand ist der Favorit für das Amt des Sonderermittlers im Fall der NSA-Spählisten. Graulich würde im Fall seiner Ernennung dem Bundestags-Untersuchungsausschuss Bericht erstatten - aber keine Details nennen, vor allem keine Namen. Das ist die Bedingung. Die Opposition will vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um selbst Einblick in die umstrittene Selektorenliste zu bekommen, Graulich hat dafür Verständnis. Er steht in freundschaftlichem Verhältnis zu dem allseits respektieren Berthold Huber, der ebenfalls für das Amt des Sonderermittlers gehandelt wurde. Als am Donnerstag Graulichs Name in Berliner Zirkeln kursierte , sprachdieser gerade vor Jura-Studenten der Humboldt-Universität über Spezialitäten beim Bundesnachrichtendienst (BND). Er ist Mitherausgeber des Werkes "Sicherheitsrecht des Bundes". Zielgruppe: Vor allem die Juristen der Nachrichtendienste sowie Richter.

Als Personalreferent im hessischen Justizministerium, wo er auch mal war, gab er für Christdemokraten das Feindbild ab. Der damalige Wiesbadener CDU-Fraktionschef Roland Koch schlug vor, Graulich an einen Lügendetektor anzuschließen. Damals war es in einem Untersuchungsausschuss hoch her gegangen. Zum Thema Recht und Sicherheitsbehörden fand Graulich als Berichterstatter beim Leipziger Bundesverwaltungsgericht. 1999 war er zum 6. Revisionssenat gekommen, der sich auch mit Wehrpflichtrecht, Polizei- und Ordnungsrecht, dem Recht der Nachrichtendienste sowie Presse- und Rundfunkrecht beschäftigt. Im Jahr 2003 befasste er sich mit den Fällen zweier Terrorverdächtiger, die im Umfeld der Mörder vom 11. September aufgefallen waren. Graulich wurde Mitinitiator eines Projekts über Terrorismus und Rechtsstaatlichkeit, die Geheimdienst-Szene registrierte das mit Aufmerksamkeit. Als er im Vorjahr in der Richterakademie Wustrau im Auftrag des Bundesjustizministeriums zu einer Veranstaltung einlud, erschienen die Spitzenleute der deutschen Nachrichtendienste.

Ein bisschen wie ein Anarcho ist Graulich schon: Der Jurist, der in den Achtzigerjahren zu den Richtern gehörte, die sich trauten, gegen die Nachrüstung der Nato einen Aufruf zu unterzeichnen, schreibt auch für Blätter der Humanistischen Union, und seine kritische Kommentierung der Vorratsdatenspeicherung wurde vom Bundesverfassungsgericht aufgenommen. Dass Geheimdienste "eine Strapaze für das Prinzip des demokratischen Rechtsstaats" seien, hat er neulich in einem Aufsatz über Edward Snowden, die NSA und weitere Whistleblower geschrieben. Nur in "politischer Naivität konnte davon ausgegangen werden, dass unter Bündnisstaaten keine nachrichtendienstlichen Aktivitäten" stattfänden. Er frage sich, "weshalb die deutsche Aufklärung von den Praktiken nichts mitbekommen" haben wolle.

In Gesprächen merkt er an, die "Rechtsentwicklung" bei den Nachrichtendiensten hänge "25 Jahren dem Polizeirecht" hinterher. Aus seiner Sicht gibt es ein "gähnendes Loch" bei den gesetzlichen Regelungen. Im Fall der NSA-Spählisten interessiert Graulich, wer die Selektoren für Bad Aibling entwarf. Und ob es sich vielleicht um ein Tauschgeschäft handelte, wenn der BND für die NSA solche Spähziele eingab.

© SZ vom 20.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: