Nordkorea:Totgeglaubte, nie Gesehene

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65 Jahre hatten einige der Verwandten und sogar Eheleute voneinander nichts gehört: Nord- und Südkoreaner begegnen sich in den Kumgang-Bergen. (Foto: dpa)

Bei einem Treffen vom Koreakrieg getrennter Familien aus dem Norden und dem Süden steigen die Emotionen hoch.

Von Christoph Neidhart, Tokio

84 Jahre alt ist Lee Soon Kyu. 65 Jahre lang hat sie ihren Mann Oh In Se nicht gesehen. Der Koreakrieg hatte die beiden getrennt. Frau Lee war mit dem kleinen Kind in dem Häuschen im Süden, das ihr Mann für die junge Familie gebaut hatte, als der Waffenstillstand im Juni 1953 vereinbart wurde. Oh befand sich auf der Nordseite der Demarkationslinie. Damit ist er seither ein Nordkoreaner. Lee Soon Kyu hat nicht mehr geheiratet. In der Annahme, ihr Mann seit tot, vollzog Frau Lee seit 37 Jahren die Gebetsrituale, mit denen Koreaner ihrer Toten gedenken.

Am Dienstag hat Frau Lee ihren Mann nun wiedergesehen. Seine Großmutter wisse nicht, ob es ein Traum sei, sagte ihr Enkel der südkoreanischen Presse. Zusammen mit ihrem 65-jährigen Sohn Oh Jang Kyun, damals das kleine Kind, ist sie mit 387 weiteren Angehörigen von Familien, die vom Koreakrieg auseinandergerissen wurden, mit Bussen eine halbe Stunde lang gefahren, über die sonst abgeriegelte Grenze von Sokcho in Südkorea zu den Kumgang-Bergen, einer isolierten Tourismus-Station in Nordkorea.

Hier trafen sich die 96 Familien drei Tage lang. Die Zeit, die sie miteinander verbringen durften, zumeist in einem großen Saal an runden Tischen, unter den Blicken nordkoreanischer Geheimdienstler und südkoreanischer Medien, war allerdings auf zwölf Stunden beschränkt. Beim Abschied am Donnerstag brachen einige alte Leute schluchzend zusammen.

Die meisten Familien hatten über die Jahrzehnte buchstäblich nichts voneinander gehört. Anders als einst zwischen den beiden Deutschland gibt es weder Telefon- noch Postverkehr über die innerkoreanische Grenze. In beiden Ländern sind die Medien des anderen Korea verboten. Den Südkoreanern wurde im Vorfeld eingeschärft, welche Themen und spezifischen Wörter und Namen sie vermeiden sollten.

66 000 Familien hat der Koreakrieg auseinandergerissen.

Erstmals hatten sich die verfeindeten Bruderstaaten 1985 auf ein Familientreffen geeinigt, das nächste folgte allerdings erst 15 Jahre später. In den Jahren der südkoreanischen demokratischen Präsidenten Kim Dae Jung und Roh Moo Hyun gab es jedes Jahr mehrere, seit die Konservativen 2008 im Süden an die Macht zurückkehrten, ist dieses erst das zweite. Am Samstag fahren noch einmal Angehörige von 90 Familien über die Grenze. Bisher nahmen etwa 20 000 Südkoreaner an solchen Treffen teil.

Beworben hatten sich vor 15 Jahren fast 130 000Menschen. Etwa die Hälfte sei inzwischen verstorben, wird geschätzt. Die Familien, die der Süden vorschlägt, werden per Computer-Lotterie ausgelost. Vom Norden heißt es, er belohne Linientreue. Nordkorea hat die Familientreffen stets als Verhandlungspfand benützt. Derzeit gibt es Hinweise, der Norden plane einen neuen Atomtest, es gibt aber auch Zeichen, dass er zu Verhandlungen bereit sei. Da passt eine Demonstration guten Willens.

Tränen und Gelächter, Umarmungen und Missverständnisse prägten diese drei Tage. 60 Jahre mussten in zwölf Stunden erzählt werden. Die Teilnehmer, die meisten sind über achtzig Jahre alt, beschreiben diese Treffen als Achterbahn der Gefühle. Zum Abschied sagte der greise Vater Chae Hoon Sik aus dem Norden seinem 65-jährigen Sohn Hee Yang aus dem Süden: "Nach der Wiedervereinigung sehen wir uns wieder."

Oh Jang Kyun, der Sohn der vom Koreakrieg von ihrem Mann getrennten Frau Lee, konnte endlich beide Eltern umarmen. Dann stieß er mit seinem fremden Vater an: zum ersten Mal im Leben, beäugt von den Kameras des südkoreanischen Fernsehens.

© SZ vom 23.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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