Nordkorea:Kim gegen Kim

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Kim Jong-un will Nordkoreas Wirtschaft reformieren. (Foto: AP)

Kim Jong-un setzt in Nordkorea schon seit längerem auf einen anderen Kurs als sein Vater - er will nicht nur Waffen, sondern auch die marode Wirtschaft entwickeln.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Blue Jeans und gefärbte Haare sind in Nordkorea verboten. Wer dagegen verstößt, wird mindestens gerügt. Doch selbst Mittelschülerinnen hellen sich einige Strähnen auf. Werden sie von Lehrern angehalten, behaupten sie, die Verfärbung sei eine Folge der Fehlernährung. Vor Kurzem noch undenkbar, heute lassen ihnen das viele Schulen durchgehen.

Erwachsene bestechen in solchen Fällen. Die Repression nützt sich ab. Nordkorea, gerade noch ein Land der militärischen Disziplin, beginnt sich zu lockern. Der Monolith wird pluralistischer. Vor allem aber verwandelt Nordkorea sich in eine Marktwirtschaft. Die meisten Menschen versorgen sich von den "Jangmadang", den zuerst nur geduldeten grauen Märkten. Dort gibt es alles. Überhaupt ist fast alles käuflich. Ärzte und Lehrer, die von ihren Staatsgehältern kaum leben können, lassen sich schmieren.

Die "Jangmadang"-Generation, alle Nordkoreaner unter 35, sei "kapitalistisch, individualistisch und risikofreudig", schreibt Jieun Baek in "North Korea's Hidden Revolution". Diese Jungen können sich nicht an eine funktionierende staatliche Versorgung erinnern. Sie sind mit den Märkten aufgewachsen. Viele beteiligen sich auch aktiv am Schwarzhandel, etwa am Vertrieb verbotener ausländischer Filme, vor allem aus Südkorea. Mitarbeiter des Instituts für Koreas Vereinigung in Seoul, die jeden Überläufer befragen, sagen, alle Flüchtlinge hätten bereits in Nordkorea südkoreanische Filme gesehen. Auch in der Provinz.

Die Jungen lebten in Parallelwelten, im offiziellen Nordkorea und in ihrer eigenen Wirklichkeit, in der sie Popmusik aus Südkorea hören. Sie täten dies aber diskret, so Baek, da sie schlau genug seien, dies nicht zu gefährden. Ihre Loyalität zum Staat und seiner Führung sei jedoch gering. Sie wissen um den Wohlstand in China und Südkorea. Die Propaganda, welche die Bevölkerung mit Bedrohungsszenarien zu mobilisieren sucht, erreicht sie nicht mehr. Die jungen Nordkoreaner seien "Agenten des Umbaus", konstatiert Hazel Smith in ihrem Buch "North Korea: Markets and Military Rule".

Wenn sich Diktator Kim Jong-un, der am Dienstag US-Präsident Donald Trump treffen will, an der Macht halten will, braucht er den Rückhalt dieser Generation. Auf die Dauer sichert er sich diesen nur, wenn er ihren Lebensstandard stetig verbessert. Er muss seine Macht mit Wirtschaftswachstum legitimieren. Dazu braucht Nordkorea Marktmechanismen und Außenhandel. Kim hat das bereits 2013 erkannt, als er von der "Songun"-Politik ("Militär zuerst") seines Vaters Kim Jong-il abrückte und an ihrer Stelle "Byungjin", die parallele Entwicklung von Waffen und Wirtschaft, proklamierte. Im Herbst erklärte er "Byungjin" für beendet, die Aufrüstung sei abgeschlossen. Nun werde er sich auf die Wirtschaft konzentrieren. Weil die Armee sich gegen Rückstufungen wehren könnte, hat er jüngst ihre Führung mit Moderaten neu besetzt.

Nordkoreas Verwandlung von einer Kommando- in eine Marktwirtschaft ist keine Maßnahme des Regimes. Sie begann 1996 mit der Hungersnot, die eine Folge des Zusammenbruchs des sowjetischen Wirtschaftsgefüges war, aber auch der Songun-Politik seines Vaters. Bis in die 1990er-Jahre hatte der Staat die Nordkoreaner mit allem versorgt, was sie brauchten. Geld spielte keine Rolle. Aber die Versorgung wurde schlechter, zur Sicherung seiner Macht stützte sich Kim Jong-il mehr und mehr auf das Militär.

Songun galt besonders während der Hungersnot. Das Militär, ein Staat im Staat mit eigenen Wirtschaftsbetrieben, hatte bei der Versorgung Priorität. Derweil verhungerten eine Million Zivilisten. Wer überleben wollte, begann sich selber zu helfen. Es waren Frauen, die Nordkoreas erste nicht staatlichen Absatzkanäle schufen, also einen Markt von unten. Nach der Hungersnot versuchte des Regime, diese Märkte zu kappen. Aber das gelang nicht mehr. Die Marktwirtschaft hat die Gesellschaft verändert. Die Stellung der Frauen wurde aufgewertet, zumal unter Kim Jong-il zeitweise nur Frauen auf dem Jangmadang handeln durften. Die Privilegien der Bürokraten dagegen verringerten sich; sie verblassen angesichts des Wohlstands der Neureichen.

Kim Jong-un verordnet der Wirtschaft inzwischen auch Marktmechanismen von oben. Überdies ist es ihm gelungen, den Won zu stabilisieren, die Währung Nordkoreas. Das ist die wichtigste Voraussetzung für einen Markt, auf dem man zeitweise fast nur mit Dollar, Yen und Yuan zahlen konnte. Vater Kim ging mit Songun so weit, dass er alle, die er in die Führung beförderte, zu Generälen ernannte. Ein Jahr vor seinem Tod 2011 sogar seine damals 64-jährige Schwester Kim Kyong-hui und den 26-jährigen Sohn Kim Jong-un, den "jungen General", wie die Propaganda ihn nannte. Beide haben nie Militärdienst geleistet.

Kim Jong-un machte Schluss mit Songun. Er verschob die Macht im Staat auf den zivilen Parteiapparat zurück und versuchte, die Politik transparenter zu machen. "Auch wenn Beschlüsse vorab feststehen, beruft er eine Versammlung ein und lässt die Staatsmedien berichten", sagt Atsuhito Isozaki von der Keio-Uni in Tokio. Der Kontrast zu seinem Vater sei enorm. Der Sohn sei Pragmatiker. Aufgrund von Kims Reden hat Isozaki Bildung, Sport, Verkehr, Architektur, das mittlere Management, die Familie, das Internet und globale Trends als seine Prioritäten identifiziert. Anders als der Vater handle der Sohn schnell und räume auch Fehler ein. Er habe erkannt, dass es angesichts der US-Drohungen gefährlicher sei, am Atomprogramm festzuhalten, als es aufzugeben. Zur Abschreckung, also zur Sicherung seines Regimes vor Angriffen von außen, genügten konventionelle Waffen. Wichtiger für Kim ist es ohnehin, seine Macht nach innen zu legitimieren, um sie zu sichern.

© SZ vom 09.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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