Nordkorea:Warum China Kim Jong Un stützt

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Mehr als das Atomprogramm oder einen Raketentest fürchtet Peking den Kollaps des Regimes in Pjöngjang. Dann würde Nordkorea zum Syrien Ostasiens.

Von Kai Strittmatter

Nordkoreas Diktator Kim Jong Un ist kein Clown. Und nein, verrückt ist er auch nicht. Alles was er tut, entspringt kühler Berechnung. Jeder Atomwaffentest und jeder Raketenstart steht im Dienste eines Zieles: Sein Regime muss überleben. Das Atomwaffen- und das Raketenprogramm sind in diesem ansonsten in jeder Hinsicht bankrotten Regime also die Lebensversicherung.

Zur Durchsetzung seines Zieles sucht Kim keinen Krieg sondern Aufmerksamkeit - an erster Stelle die Aufmerksamkeit der USA. Die USA sind die einzige Macht, mit der Nordkorea wirklich verhandeln will. Die USA waren einst der Bürgerkriegsgegner, mit ihnen teilt man das Waffenstillstandsabkommen von 1953, von ihnen möchte man einen echten Friedensvertrag, der faktisch den Bestand des Staates garantiert. Solange Kim Jong Un nicht die Antwort erhält, die er sich wünscht, wird er weiter der Logik der Eskalation und der Drohungen folgen. Dass die Risiken dabei immer größer werden, nimmt er in Kauf.

Peking hat mit Pjöngjang ein Problem: Es wird vorgeführt

Die Frage ist, ob auch China sich dieser Logik bewusst ist und das Risiko mitträgt. Man nennt China oft Nordkoreas einzigen Alliierten, aber seit Jahren ist dieser Zweierbund geprägt von Misstrauen und Bitterkeit. Zeitweilig ist die Kommunikation gar zusammengebrochen. Deswegen heischt Pjöngjang auch um die Aufmerksamkeit Pekings, wenn es eine Rakete abschießt. Wenn diese Rakete dann auch noch zum Frühlingsfest startet, dem höchsten Fest in China, dann ist die Botschaft überdeutlich.

Viele in China haben das als Demütigung verstanden, die Führung wird zornig sein. Dass sie dennoch wieder einmal nur die USA zur Zurückhaltung mahnt und sich strikt gegen allzu scharfe Sanktionen wendet, das wiederum ist Chinas eigener kühler Berechnung geschuldet.

Man darf Chinas Führung glauben, wenn sie sagt, sie wolle keine Atomwaffen in Nordkorea. Eine Nuklearbewaffnung und ein Raketensystem würden zu einem Rüstungswettlauf mit Japan und Südkorea führen, unvermeidlich würden sich die USA stärker auf Seiten ihrer Verbündeten engagieren. Das steht komplett gegen die Interessen Chinas. Viele fragen sich deshalb, wieso überhaupt Chinas starker Mann Xi Jinping die Zündeleien von Kim Jong Un duldet. Aus chinesischer Sicht lautet die Antwort: Weil es sich im Moment noch um das kleinere Übel handelt.

Es gibt für Peking ein überragendes Motiv, sich schützend vor Kim zu stellen: die Angst, dass Nordkorea zur Gefahr für China selbst werden könnte. Diese Angst ist weit größer, als die vor einem wiedervereinigten kapitalistischen Korea. Nordkorea wird dann zur Gefahr, wenn das Regime kollabiert, wenn Hunger oder Bürgerkrieg das Land ins Chaos stürzen und Abermillionen Flüchtlinge über die gemeinsame 1400 Kilometer lange Grenze drängen. Dann würde aus Nordkorea das Syrien Ostasiens.

Deshalb unterläuft China schon lange die bestehenden Sanktionen, für die es selbst im UN-Sicherheitsrat gestimmt hat. Deshalb fahren Jahr für Jahr mehr chinesische Autos auf den Straßen Pjöngjangs, und deshalb mangelt es dort nicht an Treibstoff und nicht an Getreide.

Dabei ist das Verhältnis seit Kims Amtsantritt ziemlich eisig. Chinas Parteichef Xi reist eifrig um die ganze Welt, aber den Nachbarn Kim Jong Un hat er auch drei Jahre nach seinem Amtsantritt noch nicht getroffen. Hingegen lud er ausgerechnet dessen große Rivalin, Südkoreas Präsidentin Park Geun Hye, im vergangenen September zur großen Militärparade nach Peking ein. Zuletzt hatte es zwar Versuche der Annäherung gegeben, hochrangige Emissäre Pekings reisten nach Pjöngjang, derweil Chinas Zensoren zu Hause den Internetnutzern den Spott über den "fetten Kim" untersagten. Wirklich gedankt hat Kim es nicht.

In gewisser Weise hat Kims Regime China zu seiner Geisel gemacht. Das Erstaunliche ist, dass Peking diesen Zustand zulässt. Zumal Kims Treiben nicht nur immer gefährlicher wird, sondern China jetzt schon schadet. Südkorea verkündete nur Stunden nach dem Raketentest die formelle Aufnahme von Verhandlungen mit den USA über das regionale Raketenabwehrsystem THAAD. Seoul muss über die Impotenz der chinesischen Kim-Diplomatie enttäuscht sein. Für Chinas Führung ist die THAAD-Ankündigung ein Albtraum, ihr strategisches Ziel ist es schließlich, die USA aus Ostasien schrittweise zurückzudrängen.

Es ist viel von Chinas neuer Macht die Rede. Der Fall Nordkorea zeigt ein erstaunlich zaghaftes, bisweilen hilfloses China. Am Sonntag hat sich wieder einmal gezeigt, dass es für Nord- wie auch für Südkorea nur eine Macht gibt, die wirklich zählt: die USA.

© SZ vom 09.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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