Niedersachsen:Viele Verlierer

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Bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen erleiden CDU, SPD und Grüne Einbußen. Die AfD wird viertstärkste Partei, verfehlt aber ihr selbst gesetztes Ziel.

Von Thomas Hahn, Hannover

Im Regionshaus von Hannover hat das Spiel der Balken begonnen, und Andrea Fischer muss zugeben, dass sie es nicht ganz versteht. Die frühere Bundes-Gesundheitsministerin von den Grünen leitet seit 2012 das Dezernat Finanzen, Gebäudewirtschaft und Krankenhäuser der Region Hannover. Sie erlebt ihre erste Kommunalwahl in diesem Amt und blickt nun gebannt auf die Zwischenergebnisse, die Projektoren an die Wand werfen.

Garbsen, Neustadt, Langenhagen. Immer wieder das gleiche Bild. Hoch ragen die roten und die schwarzen Säulen auf, die für die SPD und die CDU stehen. Die grünen bleiben relativ klein, während die blauen Säulen der AfD bis auf mittlere Höhe anwachsen. Seltsam, findet Andrea Fischer. "Wenn ich diese ganzen Zehn-, Elf-Prozent-Balken sehe, habe ich das Gefühl, wir alle unterschätzen noch, dass man mit der AfD Protest ausdrücken möchte." Aber gegen was richtet sich der Protest? "Hier in der Region geht es uns richtig gut", sagt Fischer. Die Flüchtlingssituation? "Wenn ich irgendeinen Ort nennen sollte, wo die Menschen völlig cool damit umgehen, dann Hannover." Andrea Fischer erkennt in den Zahlen die Wirklichkeit nicht wieder. "Ich bin da richtig ratlos."

Die AfD wird viertstärkste Kraft. Das angepeilte zweistellige Ergebnis verfehlt die Partei

Auch am Montag, als aus den Zwischenergebnissen Fakten geworden waren, ist es nicht einfach gewesen, einen Trend aus der Kommunalwahl in Niedersachsen abzuleiten. Die landesweite Auswertung ergab einen Erfolg der CDU mit 34,4 Prozent der Stimmen aus den Landkreisen und kreisfreien Städten bei leichten Verlusten im Vergleich zu 2011. SPD (31,2) und Grüne (10,9), die Koalitionsparteien der Landesregierung, schnitten um 3,7 beziehungsweise 3,4 Prozentpunkte schlechter ab als vor fünf Jahren. Viertstärkste Kraft war die AfD mit 7,8 Prozent, womit sie das angepeilte zweistellige Ergebnis verfehlte. Aber was sagt das schon bei einer Abstimmung um rund 2200 Kommunalversammlungen und bei einem Themenspektrum, das von lokalen Verkehrsprojekten bis hin zur ewigen Flüchtlingsfrage reichte?

Der CDU merkte man an, dass sie Selbstbewusstsein aus dem Ergebnis ziehen wollte. Hendrik Hoppenstedt, der Bundestagsabgeordnete der Region Hannover, nannte es zum Beispiel "ein Strafgericht", dass Rot-Grün in der Regionsversammlung seine Mehrheit einbüßte, und sprach von einer "sehr guten Ausgangsposition für die Landtagswahl 2018". SPD-Ministerpräsident Stephan Weil konnte dagegen "eine Wechselstimmung nicht erkennen". Die Sozialdemokraten verzeichneten zwar durchaus bittere Niederlagen; etwa einen Einbruch um 20 Prozentpunkte in Emden, wo die Wählergemeinschaft "Gemeinsam für Emden" aus dem Nichts 20,1 Prozent erreichte. Aber sie hatte auch was zu feiern: In Braunschweig errang die SPD erstmals seit Jahrzehnten die Mehrheit im Stadtrat.

In Niedersachsen waren rund 6,5 Millionen Bürger aufgerufen, Stadt- und Gemeinderäten sowie Kreisräte zu wählen. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Selbst im kleinteiligen Kommunalwahl-Betrieb hat man feststellen können, dass überregionale Themen einen Einfluss aufs Ergebnis nehmen. 2011 waren die Grünen die Gewinner, weil nach der Nuklearkatastrophe in Fukushima ihr Format als Anti-Atomkraft-Partei Konjunktur hatte. Diesmal fand die Landesvorsitzende Meta Janssen-Kucz das Ergebnis "mehr als durchwachsen" und stellte fest, dass der Ausbau der Windenergie nicht immer leicht zu vermitteln sei. Stattdessen profitierte die AfD vom Trend zum Protest gegen eine Politik, die sich nicht nur national aufstellt - zumindest profitierte sie teilweise davon.

Auf starke 15,1 Prozent kam die AfD in Delmenhorst. Und auf 10,1 in der Region Hannover mit der negativ überraschten Andrea Fischer. Aber nur auf 1,1 in der Grafschaft Bentheim. Ministerpräsident Weil sagte: "Die AfD ist in Niedersachsen ein politischer Faktor." Ein durchschlagender Erfolg sieht trotzdem anders aus. Bei Niedersachsens Kommunalwahl deutete sich leise an, dass die Strahlkraft der AfD auch nachlassen kann.

© SZ vom 13.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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